Reiseführer Rom

San Vitale

Die uralte Kultstätte San Vitale wird eher nur zufällig von Passanten wahrgenommen. Das liegt sicher daran, dass die markante Front des angrenzenden Palazzo delle Esposizioni alle Blicke auf sich zieht und die Kirche überdies mindestens acht Meter unter dem Straßenniveau der Via Nazionale liegt, genau gesagt in Höhe des antiken Vicus Longus, der Langen Straße, die im alten Rom das berüchtigte Subura-Viertel mit dem Quirinal verband. Wer die fünfunddreißig Stufen der Steintreppe zum kleinen Vorhof hinabsteigt, steht vor den antiken Arkaden einer der ältesten Kirchen Roms.

Rom: San Vitale

Der recht zuverlässige Liber Pontificalis, eine frühe Sammlung von Papstbiographien, berichtet von der Schenkung einer gewissen illustris femina Vestina, einer offenbar vermögenden Dame der römischen Oberschicht, die die Errichtung des Kirchenbaus ermöglicht haben soll. Ihr Vermächtnis fällt in die Zeit des Pontifikats von Innozenz I. (401-417). In den alten Dokumenten erscheint die Kirche als basilica sanctorum Gervasi et Protasi, als den frühchristlichen Märtyrern und Heiligen Gervasius und Protasius geweihter Ort. Reliquienpartikel der Getöteten seien hier aufbewahrt worden (wie auch in einem halben Dutzend weiterer Kirchen in Frankreich, Italien und Deutschland). Die christliche Überlieferung spricht von Vitalis und Valeria als den Eltern der Zwillinge (?) Gervasius und Protasius, was aber von Historikern entschieden in Frage gestellt wird. Auf jeden Fall verdrängte Vitalis im 6. Jahrhundert bei der Benennung der Kirche seine Schicksalsgenossen. Sie trägt noch heute seinen Namen: Santi Vitale e Compagni Martiri in Fovea, Kurzform: San Vitale.

Rom: San Vitale

San Vitale ist eine Titelkirche der katholischen Kirche. Das heißt, ein Kardinal ist nominell als Pfarrer eingesetzt, in praxi aber beschränkt sich sein Wirken auf die Funktionen eines Schirmherren. Wie oft in der Kirchenführung sind symbolische Akte von großer Bedeutung, so auch hier: Kardinalpriester sollen durch ihre „Basisarbeit“ das enge Zusammenwirken der Kardinäle mit der Mission des Oberhirten betonen.

Als Basilica Minor zählt San Vitale zum Kreis der weltweit rund 1.200 Basilicae Minores, die aufgrund ihrer „herausragenden Stellung im Leben ihrer Gemeinde“ besondere Privilegien genießen, aber eine niedrigere liturgische Rangstufe besitzen als die insgesamt nur sechs Basilicae Maiores, davon vier in Rom (St. Peter/Vatikan, San Paolo fuori le Mura, Sta. Maria Maggiore, San Giovanni in Laterano) und zwei in Assisi (Basilica San Francesco, Sta. Maria degli Angeli).

Vor rund 1.600 Jahren entstand hier eine klassische Basilika mit einem Hauptschiff, flankiert von Arkadenbögen und anliegenden Seitenschiffen. Sie besaß kein Querschiff, aber gleich drei Apsiden: eine am Kopf des Altarraums und je eine am Ende der beiden Seitenschiffe. Vor ihrem östlichen Portal entstand die noch heute gut erhaltene, auf Granitpfeilern ruhende Vorhalle. Die Mauern entstanden in der damals geläufigen, opus listatum genannten Abfolge von Tuffstein- und Ziegelschichten. Eine einschneidende Veränderung erfuhr der Bau unter Papst Sixtus IV., der 1475 die Basilika in eine Saalkirche umgestalten ließ. Dabei verschwanden die Arkaden und mit ihnen die beiden Seitenschiffe. Ein säulenloser Innenraum, das frühchristliche Mittelschiff, verblieb als nunmehr einziger Raum.

Rom: San Vitale

Ende des 16. Jahrhunderts wurde die Kirche dem Jesuitenorden übertragen (bis 1880), der sich sogleich daran machte, das Gotteshaus ganz im Sinne der Gegenreformation umzugestalten. Der Zugang zum Kirchenschiff erhielt ein kostbares Holzportal mit aufwändigen Schnitzarbeiten, die u. a. Szenen aus dem Leben des Ignatius von Loyola, des Begründers des Jesuitenordens, darstellen und die Leidensgeschichten der Märtyrer Gervasius, Protasius und Vitalis. Eine hölzerne, bemalte Kassettendecke wurde eingezogen und an den beiden Längswänden entstanden Seitenaltäre. Viel Mühe verwendete man auf die Ausgestaltung der Wandfresken. Sie zeigen die in jener Zeit mit Vorliebe dargestellten Märtyrerszenen, die einen pädagogischen Zweck verfolgten, sollten sie doch den Novizen des Ordens drastisch vor Augen führen, welche Gefahren und Nöte ihnen bei der Erfüllung ihrer Pflichten als Gemeindemitglieder, als Verkünder der Botschaft oder als Missionare widerfahren können. Üppige Landschaftsdarstellungen und scheinarchitektonische Wandgliederungen mildern etwas die Leidensgeschichten.

(Via Nazionale 194 B)





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