Reiseführer Rom

San Benedetto in Piscinula

Dass ihr Campanile der kleinste aller römischen Kirchen ist, gilt als sicher. Den Ruf, auch die kleinste Kirche am Tiber zu sein, muss sie sich mit zwei, drei anderen teilen, denen sie aber voraus hat, dass ihre Gründungsgeschichte auf einen der ganz Großen der Kirchenhistorie zurückgeht. Gemeint ist Benedikt von Nursia – Benedetto di Norcia, wie man in Italien sagt – ein unter Katholiken und Anglikanern, Protestanten und Orthodoxen hoch angesehener Abt und Gründer des Benediktiner-Ordens, Verfasser der „Regula Benedicti“, eines einflussreichen Regelwerks („ora et labora“) nicht nur für die Benediktiner, auch für andere religiöse Gemeinschaften. Sein unermüdliches Wirken brachte ihm den Beinamen „Vater des abendländischen Mönchtums“ ein.

Die im 5. und 6. Jahrhundert angesiedelte Geschichte seiner Verflechtung mit der kleinen Kirche in Trastevere trägt leicht legendenhafte Züge und geht so: Der prominenten, hier lebenden Familie Anicii entstammend, widmete er sich im Alter von 12 bis 17 Jahren auf Drängen seines Vaters literarischen und juristischen Studien, wozu er eine winzige Zelle, in der er auch schlief, auf dem Familiengrundstück bezog. Angewidert von Korruption und Sittenverfall verließ er Rom, wurde zunächst Einsiedler, ging später nach Montecassino und widmete sich der Erneuerung des Mönchtums. Seine noch heute existierende Zelle wurde überbaut und im frühen 12. Jahrhundert in die Kirche, die seinen Namen trägt, einbezogen.

Piscinula

So könnte die Kirche im Mittelalter ausgesehen haben


Die Kirchengründung erfolgte um das Jahr 1100. In den folgenden Epochen wurde sie häufig umgebaut, erhielt Anbauten, wurde vernachlässigt und nicht mehr als Kirche genutzt, drohte zu verfallen, wurde im 19. Jahrhundert restauriert und erhielt die noch heute existierende spätklassizistische Fassade. Doch stand sie Anfang des 20. Jahrhunderts erneut leer. Das Adelshaus Lancellotti kümmerte sich zeitweise um den heruntergekommenen Bau, dann übernahm das apostolische Vikariat die Verantwortung. Die Kirche wurde wieder geöffnet, nur um in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erneut leer zu stehen und Vandalen und Diebe anzulocken. 2003 übergab die Diözese Rom die ramponierte Kirche den „Verkündern des Evangeliums“ (Arautos do Evangelho), einem 1999 gegründeten brasilianischen Orden mit internationalen Ambitionen. Die Ordensleute legten sich mächtig ins Zeug und restaurierten zur großen Genugtuung der römischen Kleriker die Kirche von Grund auf.

Besichtigung
Was heißt eigentlich „in Piscinula“? Das lateinische Wort piscina steht für Fischteich, später auch für Badebassin. Die Endung „ula“ beschreibt eine Verkleinerungsform (Diminutiv), also kleiner Teich oder kleines Becken und bezieht sich auf eine vermutete Badeanlage in der Antike an diesem Ort, wofür es freilich keine archäologische Bestätigung gibt.

Piscinula

Der schon erwähnte romanische Glockenturm beherbergt eine winzige Glocke von nur 45 cm Durchmesser, auf der die Jahreszahl 1069 eingraviert ist. Wenn sie denn tatsächlich aus jener Zeit stammt, was von Experten angezweifelt wird, überstand sie die Zerstörungs- und Plünderungsorgie der Normannen unter Robert Guiscard im Jahre 1084, der so viele sakrale Objekte zum Opfer fielen. Der frei stehende Glockenturm, daher „Campanile“, steht auf einer Grundfläche von nur 2,50 m X 2,50 m. Ein pyramidenförmiges Ziegeldach krönt den Turm und jede Seite weist große gewölbte, von einer zierlichen Säule geteilte Schallöffnungen auf. Die Fassade aus dem 19. Jahrhundert gibt sich zurückhaltend. Über dem gerahmten Eingang wölbt sich ein großes Lümettenfenster. Das Giebeldreieck darüber wird von einem Akanthusblatt bekrönt.

Piscinula

Nach dem Eingang durchquert man das Vestibül, das frühere Atrium, mit Resten mittelalterlicher Fresken und sehr nützlichen Informationstafeln für Besucher. Im Kircheninneren bemerkt man die „schiefen Mauern“, wie sie jemand beschrieb. Tatsächlich ist der Grundriss der Kirche ungleichmäßig, da sie in bestehende Bauten eingepasst werden musste. Sie weist einen basilikalen Baustil auf d. h. sie besteht aus Hauptschiff und zwei Seitenschiffen. Säulengetragene Arkaden (Bögen) trennen das Mittelschiff von den sehr schmalen Seitenschiffen. Die unterschiedlichen Säulen und auch die Kapitelle sind sog. „Spolien“, die antiken Bauten entstammen. Über den kaum verputzten Backsteinwänden öffnet sich der unverkleidete Dachstuhl des Satteldachs.

Piscinula

Auffallend ist der üppig dekorierte Kosmaten-Fußboden – so benannt nach einer berühmten Handwerkerfamilie, deren Oberhaupt Kosmas hieß. Im 12.- 14. Jahrhundert glänzte sie in Rom mit ihrer Kunst der Einlegearbeiten (Inkrustationen). Dazu verwendete man kleine, flach zugeschnittene Stücke aus rotem Porphyr, aus Serpentin (grüner Porphyr), Marmor, Onyx und auch Granit. Zwei hintereinander angeordnete sog. Quincunx-Muster (zwei mal fünf sich leicht überlappende Kreise) stechen besonders hervor. Daneben ist ein weiterer bekannter Designtypus der Kosmaten, ein Kreisschlingenband, verlegt.

Piscinula

Durch ein offenes Portal, dessen Pfosten und Sturz mit einem Mosaikband geschmückt sind, betritt man das Oratorium, die Cappella della Vergine, neben dem Vestibül. Die kleine Kapelle wird von Kreuzgratgewölben überspannt, die auf vier Ecksäulen ruhen. Sie werden in das 8. Jahrhundert datiert und könnten auf einen Vorgängerbau hindeuten. Ihr Fußboden zeigt Kosmatenschmuck, der dem 13. Jahrhundert zugeordnet wird, wie auch die Fertigstellung der Cappella in dieses Jahrhundert fällt. Am Altar tragen zwei graue Marmorsäulen ein Giebeldreieck. Darunter ist das Bildnis „Unsere Frau der Barmherzigkeit“ angebracht, dem nachgesagt wird, dass Benedikt es verehrt habe, was aber ausgeschlossen ist, da das Bild Teil eines Freskos aus dem 14. Jahrhundert ist.

Piscinula

Zelle des Benedikt


An das Oratorium grenzt die „Cella di San Benedetto“, die legendäre gerade einen Meter breite Zelle, in der Benedikt jahrelang seine Studien betrieben haben soll und in der er auch aß und schlief.

Piscinula

Apsis-Fresco (16. Jahrh.)


Piscinula

Maria mit Kind und ihrer Mutter Anna


Trastevere, Piazza in Piscinula, 40





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