Wo der Highway rockt und der Mississippi rollt

Von Memphis (Tennessee) nach Clarksdale (Mississippi)

Text und Fotos: Winfried Dulisch

Blues-Feeling muss keine Sackgasse der Gefühle sein. Denn es gibt sehr gute Wegweiser, die zu den Wurzeln des Rock’n’Roll und der aktuellen Pop-Musik führen. – Winfried Dulisch folgte den blauen Hinweisschildern entlang dem Mississippi Blues Trail.

USA - Der Tourismus-Manager Jonathan Lyons mit einem Souvenir aus Memphis

Der Tourismus-Manager Jonathan Lyons mit einem Souvenir aus Memphis

Mit 650.000 Einwohnern ist Memphis (1) die größte Stadt im US-Bundesstaat Tennessee. Daneben ist Memphis auch die heimliche Hauptstadt vom Mississippi Delta – zumindest für die Fans jener Musik, die einst nach Feierabend von den Baumwollpflückern in den Südstaaten der USA gesungen wurde.

MemphisMehrere Hinweisschilder in Memphis erinnern daran, dass der Delta-Blues in dieser Stadt seine schönsten Blüten hervorgebracht hat. Zum Beispiel am Eingang zu der Vergnügsmeile Beale Street, in der sich heute die Music-Etablissements aneinander reihen. Der bekannteste dieser Blues-Clubs gehört dem Gitarristen B.B. King.

Eines dieser blauen Schilder steht auch vor dem Sun Studio. Das Tonstudio ist eine Pilgerstätte für weiße Countrymusik-Liebahber wie auch für die Fans vom afro-amerikanischen Blues. Aber vor allem ist das Sun Studio das „amtliche“ Rock’n’Roll-Museum.Denn hier sang 1954 der Lastwagenfahrer Elvis Aaron Presley: „That’s alright, Mama, that’s alright with me.“ Vor dem Eingang zum Sun Studio posieren heute die Elvis-Fans für ein Erinnerungsfoto.

Im Sun Studio begann die Karriere des King of Rock’n’Roll. Sein Grab liegt im „Meditation Garden“ von „Graceland“, gleich neben dem Highway 51, der von zahlreichen Blues-Barden besungen wurde. Jenes Teilstück des Fifty-One, an dem das Graceland-Anwesen liegt, wurde nach dem Hausherrn dieser kitschig pompösen Südstaaten-Villa benannt.

Die Fans der Soul-Music besuchen in Memphis lieber das ehemalige Stax Studio. In dieser Hit-Fabrik forderte Aretha Franklin „Respect“ und „Think“. Isaac Hayes und andere Wegbereiter der afro-amerikanischen Musikkultur entwickelten hier aus Pop-, Jazz- und Gospel-Elementen ihre Vorstellungen einer selbstbewussten Black Music. Otis Redding sang und flötete im Stax Studio 1967 seinen letzten Hit: „Sittin’ On The Dock Of The Bay“.

Memphis - Elvis Presley Boulevard

Schwarz und weiß gemeinsam

Das Studio ist heute ein Museum. In den Vitrinen stehen Gitarren und andere Reliquien. Jedes einzelne Ausstellungstück erinnert daran, wie nachhaltig wirksam afro-amerikanische und weiße Stax-Studiomusiker hier zusammen gearbeitet hatten – ausgerechnet in Memphis, wo jener Mann starb, der es seinen US-Mitbürgern vorgesungen hatte: „Black and white together – we shall overcome“.

Das Motel, auf dessen Balkon der Friedensnobelpreisträger 1968 erschossen wurde, ist heute das Civil Rights Museum. In diesem Bürgerrechts-Museum, das den Kampf gegen die Rassentrennung dokumentiert, steht als imposantestes Ausstellungsstück ein Ford Mustang – der Fluchtwagen des mutmaßlichen Mörders von Martin Luther King.

Memphis - Ford Mustang, der Fluchtwagen des mutmaßlichen Mörders von Martin Luther King

Die Zeiten der Sklaverei werden dokumentiert im Cotton Musuem. Hier in der ehemaligen Baumwollbörse von Memphis kann der Besucher nachvollziehen, unter welchen Bedingungen die Sklaven in den Südstaaten der USA lebten, bevor ihre Arbeit von Erntemaschinen erledigt und die Sklaverei abgeschafft wurde. Wer das Lebensgefühl der Blues-Musiker verstehen will, muss das Cotton Museum besuchen.

61

Zu den musikalischen Wurzeln der afro-amerikanischen Südstaaten-Musik führt von Memphis aus der Highway 61. Nach einer halben Stunde durchquert die als „Blues Highway“ bekannte Fernstraße das 1.000-Seelen-Städtchen Tunica (2), wo blaue Schilder daran erinnnern: „Hier wurde der Mundharmonika-Virtuose James Cotton geboren“ oder „Hier machte der Musik-Ethnologe Alan Lomax 1941 für die Bibliothek der US-Kongressabgeordneten seine Tonaufnahmen mit dem Blues-Sänger und Gitarristen Son House“.

USA - Tunica - Crossroads

Keine 40 Meilen weiter liegt Clarksdale (3), wo der Sixty-One den Highway 49 kreuzt. Hier wurde Blues-Geschichte – zumindest eine Legende – geschrieben. Robert Johnson (1911-38) soll an dieser Kreuzung seine Seele verpfändet haben. Der Teufel verriet ihm dafür das Geheimnis der Blues-Gitarre: Man zum Beispiel nehme einen abgebrochenen Flaschenhals und lasse ihn über die Saiten gleiten. Außerdem erklärte der Teufel dem Blues-Barden, wie man die Bass-Saiten einer Gitarre so zupft, dass sie wie eine komplette Rhythmus-Gruppe klingen.

Pakt mit dem Teufel

Heute beherrscht jeder Rock-Gitarrist diesen Bottleneck-Trick und bringt seine Klampfe damit zum Wimmern und Jaulen. Und Eric Clapton präsentiert bei seinen Konzerten immer noch gerne als seine Erkennungsmelodie diesen Song, mit dem Robert Johnson der Nachwelt seinen Pakt mit dem Teufel gebeichtet hatte: „I went down to the crossroads …“

In Clarksdale stehen weitere blaue Schilder: „Hier wohnte Muddy Waters, nach dessen ‚Rolling Stone Blues’ sich eine britische Rock-Band benannte.“ Oder „Hier wurde John Lee Hooker geboren“. Vor dem Geburtshaus von Sam Cooke, dem Idol aller Soul-Sänger, steht ebenfalls eine blaue Tafel und erinnert an seine größten Hits: „Bring It On Home To Me“, „What A Wonderful World“ und „Twistin’ The Night Away“.

Geburtsort des Rock’n’Roll

Und egal, wie sehr Tina Turner in ihrer Biografie „What’s Love Got To Do With It“ über den Ex-Ehemann ablästert – mitten in Clarksdale wird er mit goldenen Lettern auf blauem Untergrund rehabilitiert: „In diesem Haus wurde Ike Turner geboren. Sein 1951 veröffentlichtes ‚Rocket 88’ gilt als die erste Rock’n’Roll-Platte.“ Geschrieben hatte der 19-jährige Ike Turner den Song im Riverside Hotel, 615 Sunflower Avenue.

Riverside Hotel

Die Blues-Herberge am Stadtrand von Clarksdale war ursprünglich ein Hospital. 1943 wurde es umgebaut zum Hotel und ist heute immer noch geöffnet. In den Tagen der Rassentrennung gehörte das Riverside zu den wenigen Beherbergungsbetrieben im Bundesstaat Mississippi, in denen auch afro-amerikanische Durchreisende absteigen konnten.

Komfortfreie Zone

Duke Ellington und seine Bigband-Musiker genossen während ihrer Europa-Tourneen sämtichen Fünfsterne-Komfort. Aber nach ihren Konzerten in der Umgebung von Clarksdale, Mississippi, übernachteten auch diese Stars jedes Mal im Riverside. Noch heute liegen hier Toilette und Dusche am Ende des Flurs – wie in den Zeiten der legendären Jazz- und Blues-Größen.

Sterbebett der Blues-Sängerin Bessie Smith

Sterbebett der Blues-Sängerin Bessie Smith

Aber eigentlich möchte Zelena Ratliff mal wieder einen Gast in dem musikhistorisch bedeutungsvollsten Raum ihres Hotels einquartieren. Die Riverside-Managerin öffnet die Tür mit der Zimmernummer Eins: „Da hat Bessie Smith ihre letzte Nacht verbracht.“ Auf dem Bett in ihrem Sterbezimmer liegt eine CD-Box mit ihren Greatest Hits, einer der größten davon war „Nobody Knows You When You’re Down And Out“.

Bessie Smith wurde 1937 nach einem Autounfall hierhin gebracht. Die Sanitäter befürchteten, dass kein weißes Krankenhaus die Grande Dame des Blues behandeln würde. Also transportierten sie die Todgeweihte nach Clarksdale in dieses Hospital, das heute ein Hotel für Blues-Musiker und deren Fans ist.

Zimmerschlüssel mit Blues-Feeling

Clarksdale verdankte den Baumwollfeldern seinen einstigen Reichtum. Dieses Geld musste jeden Abend verbrannt werden – am besten zu den Klängen einer heißen Band. Nach ihren Auftritten gingen die Musiker zum Riverside Hotel und ließen dort bei ihren After-Hours-Jam-Sessions den Arbeitstag ausklingen. Wer es fühlem möchte, wo und wie der Delta Blues enstanden ist, der bekommt dieses Feeling immer noch mit dem Zimmerschlüssel ausgehändigt: „Magst du nicht vielleicht doch im Zimmer von Bessie …?“

Clarksdale - Schlafzimmer in der Squeeze Box

Schlafzimmer in der Squeeze Box

Blues-Freaks mit höherem Komfort-Anspruch gehen in die Squeeze Box. Dieser „Quetschkasten“ im Zentrum von Clarksdale ist eine Ferienwohnung mit Musiker-Portraits im Schlafzimmer und Skulpturen im Wohnraum. In der Nachbarschaft wurden Galerien und Buchhandlungen eröffnet – eigentlich wie in jedem anderen Künstlerdorf auf der Welt.

Aber in Clarskdale, Mississippi, geschieht es immer wieder mal, dass plötzlich ein Blues-Spurensucher mit einer Gitarre in der Hand einen der Souvenir-Shops betritt und anfängt zu singen: „All My Love’s In Vain“ oder irgendetwas anderes von Robert Johnson. Und der Mann hinter dem Thresen holt eine Mundharmonika aus der Hosenstasche und spielt darauf herzerweichende Blue-Notes.

USA - Maler in Clarksdale

Clarksdale - Delta Blues MuseumGleich gegenüber vom Squeeze Box Appartment betreibt Stan Street seine Hambone Art & Music Gallery. Der Maler und Grafiker, der schon für zahlreiche Blues-Platten die Covers gestaltete, steht nicht gerne hinter der Kasse. Stan sitzt lieber am Klavier und führt singend und Boogie-Woogie klimpernd seine Verkaufsgespräche.

Ein Wegbereiter des Blues-Tourismus war der langbärtige Sänger und Gitarrist Steve Gibbons. Dem Frontman der Gruppe ZZ Top ist zu verdanken, dass die Holzhütte seines Idols Muddy Waters nicht vermoderte, sondern einer sinnvollen Verwendung zugeführt wurde: Steve Gibbon ließ daraus Gitarren bauen – eine davon benutzt er bei ZZ-Top-Konzerten, eine weitere steht im Delta Blues Museum in Clarksdale.

„Ohne Steve Gibbons hätten wir vielleicht niemals erkannt, welchen Kulturschatz unsere afro-amerikanischen Nachbarn erschaffen haben“, gesteht Wayne Winter, Ex-Präsident der örtlichen Handelskammer. „Als Gibbons die Gitarre eines Abends nach Clasrksdale brachte, war das Delta Blues Museum bereits geschlossen.“

Wie Mozart in Salzburg

Also bat Wayne einen befreundeten Bankdirektor, das unersetzbar wertvolle Musikinstrument in einem seiner Tresore aufzubewahren. „Da konnte sich dieser Banker zum ersten Mal vorstellen, dass unsere Blues-Ahnen für Clarksdale die gleiche Bedeutung haben wie Mozart für Salzburg oder Richard Wagner für Bayreuth.“

Ein paar Schritte entfernt vom Delta Blues Museum – gleich am Ende der John Lee Hooker Lane – steht das „Ground Zero“. Diesen Blues-Club betreibt der Schauspieler Morgan Freeman („Miss Daisy und ihr Chauffeur“) zusammen mit dem Konzertveranstalter Ashley Norris in einem alten Baumwoll-Lager.

USA - Clarksdale - John Lee Hooker Lane

Das Leben ist eine Jam-Session

Asheley Norris schwärmt von seinem Club: „Hier im Ground Zero treiben die Wurzeln des Delta Blues jeden Abend neue Blüten. Gestern spielten hier ein spanischer Gitarrist und ein schottischer Sänger zusammen mit unserer Haus-Band. Die Musiker gingen auf die Bühne, begrüßten sich per Handschlag und spielten drauflos. Das Leben ist eine Jam-Session – zumindest hier in Clarksdale, Mississippi.“

Sogar die Gemeindeskretärin der St. George's Episcopal Church ist von diesem Virus infiziert. Während sie den Besucher durch ihre Kirche führt, trägt sie einen T-Shirt mit dem Werbe-Logo für das alljährlichen Juke Joint Festival in Clarksdale, Mississippi. „Du kannst mich gerne damit fotografieren. Gott erschuf nicht nur die Gospel-Music, sondern auch den Blues.“

USA - Clarksdale

 

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