Text und Fotos: Franz-Josef Krücker
Wenn die Sonne als großer roter Ball im Westen über dem Fluss Thu Bon versinkt, wenn die ersten Feuer unter den Woks angezündet werden, wenn die Hitze des Tages langsam abflaut, dann erwacht die vietnamesische Kleinstadt Hoi An zu neuem Leben. Die Menschen strömen auf die Straßen hinaus, gehen in die Tempel, besorgen noch eine Zutat für das Abendessen vom Markt, führen die Kinder oder Enkel spazieren, und die Ladenbesitzer bereiten sich auf die Abendverkäufe vor. Die Lichter der Stadt gehen an. In Hoi An sind dies nicht allein die Straßenlaternen und die bunten Neonwerbeschilder, sondern vor allem die vielfarbigen Stofflampen, die in zahlreichen Werkstätten in der Stadt gefertigt und in Läden und auf den Nachtmärkten verkauft werden.
Die Herstellung ist einfach: Zwei Ringe oben und unten sorgen für Stabilität, verbunden sind sie durch dünne, flexible Bambusstäbe, die der Lampe ihre Kugel- oder Birnenform geben. Stramm mit Stoff überzogen, bleiben die Bambusrippen stabil, erlauben aber, dass man die Lampe von Hand zusammendrücken und damit leicht transportieren kann. Weiß und Rot scheinen die beliebtesten Stofffarben zu sein, es gibt aber auch Blau, Grün, Violett und anderes im Angebot. Manche Stoffe haben Muster, die erleuchtet gut zur Geltung kommen, manche sind aber auch uni und durch Stickereien oder Aufdrucke verziert. Die Stofflampen von Hoi An (1) haben sich zu einem der beliebtesten Souvenirs der Stadt am Fluss Thu Bon entwickelt.
Zu Tausenden flanieren die Menschen jetzt durch die Straßen, am Ufer des Flusses entlang und über die neue Brücke, die vor einigen Jahren die Insel An Hoi erschlossen hat. Seitdem sind dort zahllose Häuser in einem historisierenden Stil errichtet worden, fast alle haben im Erdgeschoss zur Straße einen Laden, ein Restaurant oder eine enge Lobby für ein preiswertes Hotel. Noch Anfang der 1990er Jahre war Hoi An ein verschlafenes Nest ohne einen einzigen Touristen, dann kamen die Rucksackreisenden, entdeckten und zerstörten den morbiden Charme der Häuser aus dem 19. Jahrhundert, und jetzt gibt es hier unzählige Besucher aus aller Welt und vor allem aus Vietnam selbst.
Alte Handelsstadt
Seit rund zweitausend Jahren siedeln Menschen nahe der Mündung des Flusses Thu Bon ins Meer, damals wie heute betrieben sie Handel. Sie gehörten nicht zum Volk der Viet, sondern zu einer früheren Kultur. Dann kamen im 4. Jahrhundert die Cham, ein von Indien beeinflusstes Volk, und errichteten mehrere Hauptstädte, eine ganze Reihe von Tempeltürmen und schließlich ein ausgedehntes Tempeltal – das dreißig Kilometer von Hoi An entfernte My Son. Sie wurden von den Viet auf ihrem „Zug nach Süden“ zwischen dem 12. und 16. Jahrhundert verdrängt und schließlich ausgelöscht.
Boote auf dem Fluss Thu Bon in der Altstadt von Hoi An
Hoi An erwachte im 17. Jahrhundert zu neuem Leben als Handelsstadt. Chinesen und Japaner hatten voneinander getrennte Stadtviertel errichtet, in denen sie einen indirekten Handel abwickelten, denn ihre kaiserlichen Regierungen hatten den direkten Handel zwischen dem „Reich der Mitte“ und dem Inselreich verboten. Das Chinesenviertel lag im Osten, das Japanerviertel im Westen, beide nördlich des Flusses und getrennt oder verbunden durch die Japanische Brücke, eine rote überdachte Holzbrücke, die wahrscheinlich 1595 fertiggestellt wurde.
Japanische Brücke
Im 17. Jahrhundert beschleunigte sich der Handel, denn jetzt traten auch die Europäer auf den Plan: christliche Missionare, die Vertreter der Handelsgesellschaften und die jeweilige Flotte in bekannter Dreieinigkeit. Auf europäischen Karten wird die Stadt meist Faifo genannt, und in Berichten von Missionaren kann man lesen, wie Chinesen und Japaner ihre Einflusssphären abgesteckt hatten, wie die meist männlichen Händler einheimische Frauen heirateten und mit deren Hilfe die Geschäfte abwickelten. 1636 war Schluss damit, denn der Handel zwischen China und Japan wurde endgültig verboten; beide Länder schlossen sich von der Außenwelt ab. Die Europäer hielten noch hundert Jahre länger durch, doch dann begann der Abstieg Hoi Ans. Die Flussmündung versandete, und im nahen Da Nang war ein größerer Hafen für immer größere Schiffe entstanden, den vor allem die Franzosen nutzten, die dabei waren, sich Vietnam, Kambodscha und Laos als Kolonie „Indochina“ einzuverleiben.
Im chinesischen Viertel
Häuser im südchinesischen Stil des 19. Jahrhunderts säumen die Hauptstraße der Altstadt von Hoi An
Die heutige Bebauung der Altstadt, die aus zwei Straßen parallel zum Fluss Thu Bon besteht und sich seit 1999 auf der Liste des Unesco-Welterbes befindet, stammt aus dem 19. Jahrhundert und folgt dem Stil südchinesischer Kleinstädte. Denn während die japanischen Händler in ihre Heimat zurückkehrten, blieben viele Chinesen, später kamen sogar weitere nach, die vor gewaltsamen Auseinandersetzungen in China flohen. Wenn Chinesen im Ausland siedeln, bleiben sie gerne als Volksgruppe zusammen, das kann man auch in Hoi An beobachten. Denn an der Hauptstraße reihen sich nicht weniger als fünf Versammlungshallen mit Tempeln verschiedenster chinesischer Gemeinden auf, die in diesen langgezogenen Ensembles von Bauwerken nicht nur ihre Götter verehren, sondern auch Hochzeiten und Geburtstage und anderes feiern. Die beliebteste Göttin ist Thien Hau (kantonesisch Tin Hau), die Schutzpatronin der Seefahrer und Fischer, und das verwundert nun gar nicht.
Die chinesischen Tempel zeugen wieder vom Wohlstand der Gemeinden
Die Tempelbauten reihen sich entlang einer Achse auf. Rote Wände hinter den Türen verwehren den direkten Blick und halten böse Geister ab, denn die können bekanntermaßen nur geradeaus fliegen. Die Firste der Gebäude sind mit bunten Porzellan- und Glasscherben geschmückt, glückbringende Symbole und Tiere, zum Beispiel Fische, sind dort zu sehen. Die Altäre und die sie umgebenden Paravents sind mit reichem Schnitzwerk verziert, und dass einige von ihnen wieder vergoldet sind, belegt, dass der Wohlstand in die Handelsstadt Hoi An zurückgekehrt ist.
Ländliche Umgebung
Schiffswerft am Fluss Thu Bon
Den haben nicht zuletzt die vielen Besucher gebracht. Mit dem Fahrrad wollen wir die Umgebung Hoi Ans ein wenig erkunden, radeln hinaus aus der geschäftigen Stadt nach Osten, Richtung Meer, das zehn Kilometer entfernt ist. Große Hotelanlagen haben die besten Plätze zwischen der Straße Pham Hong Thai und dem Fluss eingenommen, haben grüne Oasen aus Rasen und Kokospalmen geschaffen, in denen sich die Besucher der Muße beim Ausblick vom Liegestuhl auf den träge dahin strömenden gräulich-braunen Thu Bon hingeben können. Ein wenig weiter lockt das berühmte Brothers‘ Café, ein exklusives Restaurant zweier sehr erfolgreicher Unternehmer-Brüder aus Hanoi. Das alte Wohnhaus ist gekonnt und ansprechend restauriert, im Garten genießt man bei einer kleinen Brise die elegante vietnamesische Küche, und am beliebtesten sind natürlich die Plätze direkt am Fluss. Immer wieder ist der Thu Bon der Anzugspunkt, auch hier, an diesem Ort, der wie geschaffen ist für ein romantisches Dinner bei Kerzenlicht und Grillengezirpe.
Bald haben wir die Ausläufer der Stadt hinter uns gelassen. Weite Felder dominieren diese völlig flache Landschaft. Reis wird hier angebaut, aber auch Gemüse, Enten watscheln über die kleinen Dämme, die die Felder trennen, auf einer Fischfarm versorgen Wasserräder die etwas trübe Brühe mit Sauerstoff. Hähne krähen.
Die Dörfer unterziehen sich gerade einer Welle der Modernisierung. Alte, solide Holzhäuser sieht man hier draußen, außerhalb der Altstadt, praktisch nicht mehr. Es wird mit Stein oder meist mit Beton gebaut. Auch die Straßen werden verbreitert, damit Autos statt Büffel und Radfahrer zügig vorankommen. Mit unseren Rädern halten wir uns in der Nähe des Flusses und weichen auf schmale Wege aus, wo immer es geht.
Der grüne Garten des Hotels Coco River Resort
So treffen wir auf das Coco River Resort, das typisch ist für eine neue Generation von vietnamesischen Hotels. Es gehört nicht zu einer großen Kette, sondern wird von einer Familie geführt, die auf eigenem Land mit eigenem Kapital gebaut hat. Es ist nicht zu groß, sondern weist mit 36 großzügigen Zimmern eine gewisse Bandbreite auf und zwingt zu einem professionellen Management. Anders als bei den frühen privaten Hotels, in denen man nur die Tür zu einem engen Raum geöffnet bekam. Die meisten Zimmer des Coco River Resorts blicken auf den Garten und den darin befindlichen Pool. Das Restaurant hingegen liegt ganz am Ende des Grundstücks und wieder einmal unmittelbar am Fluss Thu Bon. Eine „Affenbrücke“, die nur aus drei dicken Bambusrohren und einem Geländer besteht, führt hinüber zu einem Steg im Wasser, an dem das hoteleigene Boot anlegt, um die Gäste für einen der vielen Ausflüge aufzunehmen, die das Hotel anbietet: auf die Cham-Insel, zum Markt, in die Stadt, zum Angeln.
Herrlicher Sandstrand
Wir schwingen uns wieder auf unsere Räder und gleiten durch die Reisfelder. In der Ferne ist schon eine grüne Linie zu sehen, die sich in der schwirrenden, heißen Luft abzeichnet. Es sind die Kokospalmen, die in dieser Region nicht so häufig anzutreffen sind wie in weiter südlichen Gefilden, die aber zu einem tropischen Strand einfach dazugehören.
Der Strand von Hoi An besteht aus feinem gelben Sand und zieht sich über Kilometer in Nord-Süd-Richtung dahin. Er ist sozusagen das südliche Ende des berühmten China Beach bei Da Nang, an dem sich die amerikanischen Soldaten bei ihren Pausen im Krieg gegen Vietnam so gerne entspannten. Immer interessiert beobachtet von den vietnamesischen Befreiungssoldaten, die sich unbemerkt auf den Gipfeln der nahen fünf Marmorberge verschanzt hatten. Der Strand ist öffentlich zugänglich, auch wenn die Strandresorts gerne versuchen, für ihre Gäste ein Stück abzutrennen. Dass die Landschaft lebt, dass sich immer wieder geografische Veränderungen ergeben, zeigt auch dieser wunderbare Strand. Die Strömung reißt an einigen Stellen den Sand weg und schwemmt ihn anderswo wieder an. So sind die weiter nördlich gelegenen Resorts derzeit bevorzugt.
Und Vietnam ist – das vergisst man gerne – durchaus ein veritables Strandreiseziel. Oder – besser noch – eine gute Kombination aus alten Häusern und Tempeln in der Altstadt von Hoi An, einer ländlichen Umgebung und erstklassigen Strandhotels, die sich hinter keinem Resort in Thailand verstecken müssen. Das Palm Garden, zum Beispiel, besteht aus einer weiten Grünanlage, in der sich Häuser mit jeweils vier Zimmern verteilen. Wer nicht im Meer schwimmen will, stürzt sich in den wirklich großen Pool. An diesem Teil des Strands reihen sich die Resorts unterschiedlicher Kategorien wie die berühmten Perlen an der Schnur. Und auf der anderen Straßenseite, der Landseite, haben sich Läden und kleine Restaurants breitgemacht, die auch ein wenig von den Devisen der Touristen abbekommen möchten.
Nach etwas Entspannung in der Sonne radeln wir zurück in die Stadt. Kleine Läden gibt es natürlich auch an dieser Straße, und bald zeigt ein Berg von grünen Kokosnüssen an, dass eine Erfrischung bevorsteht. Mit geübten Schlägen einer Machete trennt eine junge Frau den unteren Teil der Nuss ab, damit diese auf dem Tisch stehen bleibt. Kleinere Schläge formen oben einen Deckel, den man leicht aufklappen kann, um per Strohhalm die frische Milch der Nuss abzusaugen. Zum Schluss kann man noch die Nuss halbieren lassen und mit einem Löffel das sich an den Innenwänden schon verfestigende Kokosfleisch abzukratzen. Auch dieses erfrischt und sättigt kalorienarm.
Zügig nimmt die Stadt Hoi An uns wieder auf. Denn gerade entlang der Straßen wird als erstes gebaut: neue Wohnhäuser, neue Läden, neue Hotels. Wir fahren nach Westen hinein in die schnell absackende große Sonne. Denn einen Nachteil hat der Strand, wie alle Strände an einer Ostküste: Die Sonne versinkt nicht im Meer. Die Brücke über den Fluss Thu Bon ist besser als die Strandbar dazu geeignet, einen spektakulären Sonnenuntergang zu beobachten. Und nebenan lodert schon das Feuer unter den Woks.
Reiseveranstalter Vietnam bei schwarzaufweiss
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