„Lebe Deinen Traum...“
Nordzyperns fragwürdiger Bauboom
„An einem Ort, der Deine Sinne verzaubert...“, „der Dich in eine Welt des Komforts und des Luxus versetzt...“, „all` denen zu empfehlen, die auf der Suche nach einem Leben in Ruhe und Erlesenheit sind...“, „die sich an einem ganzheitlichen Lebensstil erfreuen wollen...“, „ in enger Anlehnung an die Natur, versteht sich, und das zu unschlagbaren Preisen...“, „it has never been easier!“
Bei so viel Werbegetöse finden die wenigen Warnungen im Internet („Der Erwerb einer Immobilie in Nordzypern ist mit erheblichen Risiken verbunden“!) kaum Beachtung, zumal dann, wenn das einflussreiche Forbes Magazine 2021 Nordzypern zum „world`s best buy on beachfront property“ erklärt. Und ein anderer Werbegigant feststellt, dass Nordzypern „den wahrscheinlich dynamischsten und attraktivsten Immobilienmarkt im gesamten Mittelmeerraum hat“ und was das heißt und welchen Anblick das bietet, lässt sich am besten im Raum Yeni Iskele besichtigen.
Klar, dass der aus dem Ruder laufende Bausektor seit Jahren von besorgten Einheimischen und den seit langem hier ansässigen Residents und selbst von Kurzzeitbesuchern mit Argwohn beobachtet wird. Keine Frage, es wird zu viel gebaut – Ferienanlagen, Wohntürme, Villen, Hotels – wodurch die Landschaftszerstörung alarmierende Ausmaße angeommen hat, eine Gigantomanie vorherrscht, Wildwuchs sich in das Land frißt und offensichtlich kein städteplanerisches Konzept vorliegt.
Weder konnte die geforderte Höhenbegrenzung der Gebäude auf fünf Stockwerke durchgesetzt werden, noch existiert an vielen Orten ein Vertrauen erweckendes Abwassermanagement. Freilich profitieren nicht wenige Einheimische vom Bauboom in den Küstenregionen. Dazu zählen der Einzelhandel und die Dienstleister und nicht zuletzt die Landbesitzer, deren Grund und Boden fette Gewinne abwirft.
Woher kommt das Geld, das in den Bausektor fließt? Die Zyprioten lieben die Gerüchteküche und ergehen sich gerne in Mutmaßungen über „die Mafia“, über Schwarzgeld und unsaubere Geschäfte ohne so recht Belege zur Hand zu haben. Aber es gibt auch noch Dutzende Casinos und auffallend viele Verkaufsstellen für Kryptowährungen (über 200 sollen es sein!), die zusammen eine „Infrastruktur der Geldwäsche“ errichtet haben, wie ein einheimischer Finanzfachmann behauptet. Den Zufluss undeklarierter Gelder will man nun in den Griff bekommen durch neue Regeln, die seit Mai 2024 gelten. Danach müssen beim Kauf von Immobilien durch Ausländer Treuhandgesellschaften den Namen des Eigentümers offenlegen, der Besitz nur noch einer Wohneinheit ist erlaubt, Ausnahme: Festlandstürken, die drei Wohneinheiten besitzen dürfen.
Vor den Festlandstürken rangieren Russen und Iraner als potente Käufergruppen. Wie in die Türkei können sie auch nach Nordzypern visafrei einreisen. „Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine ist viel Geld hierher geflossen“, weiß der oben erwähnte Finanzexperte.
Zurück zu den Bausünden: Seit Jahren ihrer Fertigstellung harrende Rohbauten verschandeln vielerorts die Landschaft, riesige Hochhausblöcke werden brutal in bislang unberührtes Gelände gesetzt oder erdrücken mit ihrer schieren Masse Ansiedlungen von Einfamilienhäusern.
Dazu gesellen sich skurrile Bauten wie das löwenbewehrte Etablissement in Famagusta
oder monströse Geschmacklosigkeiten wie das Kaya Artemis Resort in Bafra, das nichts Geringeres als eines der sieben Weltwunder als Verkleidung für sein luxuriöses Innenleben in Szene setzt: so erlebt das Artemision, der Tempel der Artemis in Ephesos, in Bafra seine Auferstehung als Fünf-Sterne-Hotel mit angeschlossenem Casino.
Für die Ausschmückung des Hotelumfelds richtete man den Blick nach Italien und wurde auf Roms Piazza Navona fündig mit einer Anleihe bei Giacomo della Porta`s und Gian Lorenzo Bernini`s Fontana del Moro (Mohrenbrunnen), der nun als Replik vor den ionischen Kapitellen der Artemis plätschert. Nach dem Abklatsch bei Roms Barockkünstlern della Porta und Bernini, sahen sich Bafras Hotelkundschafter auch im römischen Klassizismus um und fingen Feuer für Antonio Canova`s Le Tre Grazie (Die Drei Grazien, das sind Zeus` drei Töchter), die nun vor der Säulenfront des Tempelhotels in ihrer Nacktheit unter manchen Besuchern aus der prüden AKP-Türkei mixed feelings auslösen werden. Der Kreis schließt sich mit der hier nachgebauten und dabei sehr großzügig interpretierten Prunkfassade der Celsus-Bibliothek, dem Wahrzeichen der UNESCO-Weltkulturerbestätte Ephesos.