Von Girne in den Westen

Zur Linken begleitet von den buckligen Vorbergen und jäh aufsteigenden Felsflanken des Beşparmak-Gebirges, führt uns die Küstenstraße von Girne nach fünf Kilometern zum Dorfe Karaoĝlanoğlu. In der Ortsmitte biegen wir in eine schmale Seitenstraße ein, die sich den Hang zum malerischen Bergdorf Karaman (griech. Karmi) hinaufwindet. Noch vor der Einfahrt in den 300 m hoch gelegenen Ort, zweigt von einer der Serpentinen links eine schmale Zufahrt zu einer kleinen, aber bedeutenden archäologischen Stätte ab, der Nekropole von Karmi, die in Fachkreisen „Palaeolona“ heißt.

Karmi

Das kleine Dorf Karmi (Karaman) ist ein unvergleichliches Juwel in den Bergen


Wieder zurück auf der Küstenstraße, bringt sich nach wenigen Kilometern unversehens der leidige Zypern-Konflikt in Erinnerung – das Drama von Krieg, Vertreibung und Teilung, das ein gutes halbes Jahrhundert zurückliegt: Gräber gefallener türkischer Soldaten der Interventionstruppen von 1974 kommen in Sicht, dann den Zyperngriechen abgejagte Kriegsfahrzeuge, hinter Gebüsch und Bäumen fast verborgen, vor sich hin rostendes Beutegut aus vormals sowjetischen und tschechischen Waffenschmieden, gefolgt von einem aufgebockten Hubschrauber und einem auf dem Trockenen abgestellten Landungsboot. Den monumentalen Höhepunkt dieses militärischen Ensembles oberhalb der Bucht, an der die türkischen Truppen am 20. Juli 1974 an Land gingen, bilden elf gebündelte Betonpfeiler, welche die elf Jahre der Unterdrückung (1963 – 1974) symbolisieren sollen. Der Blick voraus auf die über den Berghang weit verstreuten Häuser der Dörfer Alsancak und Lapta läßt die heitere Stimmung zurückkehren. Selbst in der heißesten Jahreszeit, wenn weit und breit das ausgedörrte Land nach Wasser lechzt, bringen Quellen aus dem Gebirge kostbares Nass in die Gärten der beiden Dörfer, lassen Zitronen-, Orangen- und Mandarinenbäume gedeihen, auch Walnüsse, Feigen, Granatapfelsträucher, Sykomoren und den Maulbeerbaum, Zeuge der noch in jüngster Vergangenheit hier florierenden Seidenraupenzucht. Doch diese üppige, einst licht bebaute Gartenlandschaft geriet schon vor Jahren ins Visier der Immobilienbranche und rigoroser Baulöwen. Die Folgen sind nicht zu übersehen. Es bleibt die grandiose Sicht auf ein hinreißendes Berg/Seepanorama, bei besonderen Wetterlagen bis zu den schneebedeckten Höhen des Taurusgebirges über dem Südufer der Türkei.

Unten am Ufer zieht sich das Gelände der alten Stadt Lambousa hin, deren Bewohner nach den verheerenden Arabereinfällen im 7. Jahrhundert ihren Heimatort aufgaben und in sicherer Hanglage eine neue Siedlung errichteten - das heutige Lapta.

Etwa 10 km hinter Lapta biegt ein schmale Straße nach Nordwesten ab. Immer in Blicknähe des Meeres führt sie über die Dörfer Kayalar und Sadrazamköy durch eine karge, nur spärlich bewirtschaftete Landschaft auf die Nordwestspitze der Insel, dem Kap Krommyakon der antiken Schriftsteller, das später Kap Kormakiti genannt wurde und heute Koruçam Burnu heißt. Ein Leuchtturm markiert diesen menschenleeren, etwas wüsten Ort, eine Felsenlandschaft, wo einige Sukkulenten wie der Meerfenchel, Weißes Jochblatt und der Strandflieder sich der Gischt und gelegentlichen Überflutungen angepasst haben.

Für den Rückweg sollte man die südliche Route von Sadrazamköy zum Maronitendorf Koruçam wählen.

Einige Kilometer südöstlich in Richtung Lefkosa, 2,5 km hinter der letzten Tankstelle des kleinen Städtchens Çamlibel – bekannt für sein kürzlich restauriertes Kloster Agios Panteleïmon – zweigt nach rechts ein unscheinbarer Weg ab. Er führt zu einer Baumgruppe mit der kleinen Ausgrabungsstätte von Myrtou-Pighades, einer bronzezeitlichen Siedlung, die um 1175 v. Chr. vermutlich von marodierenden „Seevölkern“ zerstört wurde.

Bei Güzelyurt

Frisch vom Baum gepflückte Orangen, Zitronen und Pampelmusen am Wegesrand bei Güzelyurt

Von der Hochebene um Çamlibel führt ein Abstecher nach Westen hinunter in einen fast vergessenen Winkel des Landes, dem lichte Wälder und ein breiter, vorgelagerter Dünengürtel mit langen, unberührten Sandstränden sein besonderes Gepräge geben. Die einzige Siedlung weit und breit ist Akdeniz, das frühere Agia Irini, das unter Archäologen und Historikern einen besonderen Klang hat, liegen doch im Gelände um das kleine Dorf gleich mehrere Ausgrabungsstätten, die eine Siedlungskontinuität von der späten Bronzezeit (1600-1050 v. Chr.) bis in die Römische Epoche bezeugen.

Archäologisches Museum in Güzelyurt

Archäologisches Museum in Güzelyurt

Man gelangt nach Güzelyurt, den größten Ort im Westen der Insel, über die Straße, die von Çamlibel und dem aufstrebenden Kalkanli, Standort eines Ablegers der renommierten türkischen Middle East Technical University (METU), in die weite Schwemmlandebene absteigt. Vor der Einfahrt in die kleine Provinzstadt überquert die Straße das viele hundert Meter breite Geröllbett des Güzelyurt-Flusses, dem seine drei im Troodosgebirge entspringenden Hauptzuflüsse saisonbedingt enorme Wassermengen zuführen können. In der heißen Jahreszeit bedecken freilich nur zerrissene Wasserlachen sein Bett - zu wenig Nass für die eben durchfahrenen kilometerweiten Zitrusplantagen: diese werden aus unterirdischen Süßwasserseen gespeist, deren Reserven aber bedenklich abnehmen und zu versalzen drohen.

Lefke

Traditionelle Architektur in Lefke

Nach zwanzig Minuten Fahrt, anfänglich noch durch dichte Zitrusplantagen, dann entlang dem kieseligen Küstensaum, fällt, unerwartet in dieser ländlichen Gegend, eine weit in die Bucht hinausragende Verladepier ins Auge. Doch die Förderbänder der Anlage stehen seit Jahrzehnten still. Das rostende Stahlungetüm mutiert unplanmäßig zu einem Industriedenkmal, daran erinnernd, dass hier die Cyprus Mines Corporation Kupfererze zutage förderte und über eine Verladebrücke in Schiffsbäuche abfüllte. Dieser Küstenabschnitt, der griechisch Karavostasi und türkisch Gemikonaği heißt, was beides „Anlegeplatz der Schiffe“ bedeutet, hatte diese Funktion schon zu Zeiten des antiken Stadtkönigreichs Soloi inne, als Zyperns Reichtum weitgehend auf dem Export seiner Kupfererze und -produkte beruhte. Als vor etwa fünfzig Jahren die Erzvorkommen erschöpft waren und das amerikanische Unternehmen Zypern verließ, blieben gewaltige Abraumhalden und häßliche Gebäudekomplexe zurück und niemand weiß so recht, was mit ihnen geschehen soll. Von Gemikonaği sind es nur wenige Kilometer bis Lefke in den Ausläufern des Troodosgebirges. Nahe der mächtigen Verladebrücke in Gemikonaği liegt das Ausgrabungsgelände von Soloi und fünf Kilometer weiter in westlicher Richtung windet sich die schmale Straße hinauf auf das Plateau mit den Ruinen der Palastanlage von Vouni.

Vouni

Die Ausgrabungsstätte von Vouni ganz im Westen der Insel. Stele an einer Zisterne

Hier endet der Ausflug in die westlichen Landesteile. Um unseren Ausgangspunkt Girne zu erreichen, fahren wir zurück bis Güzelyurt. Von hier bringt uns die Route Richtung Kalkanli, Tepebaşi und Çamlibel an den buchtenreichen Stausee von Geçitköy mit seiner mächtigen Staumauer aus Felsgestein. Dann senkt sich die Straße und folgt dem Meeresufer bis Girne.

Stausee von Geçitköy

Stausee von Geçitköy





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