Reiseführer Rom

Beatrice Cenci

Ihr Schicksal ist den Römern noch immer gegenwärtig. Sie bringen Blumen in die kleine Kirche San Tommaso nahe des Palazzo Cenci, wenn am Jahrestag ihres Todes dort, in der einstigen „Familienkirche“ der Cencis, eine Messe gelesen wird. 1598/99 hatte sich im Stadtteil Parione ein Familiendrama abgespielt, das noch heute die Gemüter bewegt. Das tyrannische Familienoberhaupt Francesco Cenci war, wie sich im nachfolgenden Gerichtsverfahren herausstellte, nicht einem Unfall sondern einem Mordkomplott zum Opfer gefallen. Alle an der Tat beteiligten Angehörigen – Tochter Beatrice, ihr Bruder Giacomo, deren Stiefmutter Lucrezia – wurden zum Tode verurteilt. Auf der Piazza del Ponte, vor der Engelsbrücke, wo noch bis in das 19. Jahrhundert öffentliche Hinrichtungen stattfanden, verloren sie in einer grausamen mittelalterlichen Tötungsprozedur ihr Leben.

Beatrice Cenci

Mit einer Ausnahme: Bernardo, Francescos minderjähriger Sohn. Er wurde dazu verurteilt, der Hinrichtung beizuwohnen und anschließend das Schicksal eines lebenslangen Galeerensklaven zu erleiden. Nach einem Jahr wurde er begnadigt und stieg zum Stammvater aller noch heute in Rom lebenden Cenci-Nachfahren auf.

Im Mittelalter und in der Renaissance teilten sich die eng miteinander verflochtenen Familien Cenci und Santacroce die Herrschaft über den Stadtteil Parione. Sie gaben vor, von großen antiken römischen Familien abzustammen (eine Behauptung auf schwachen Füßen) und unterstützten die Kirchen im Viertel mit üppigen Schenkungen. Ihre anmaßende Haltung, ihre Skandale, Fehden, Bluttaten konnten sie damit freilich nicht übertünchen. Sie trieben es soweit, dass im 15. Jahrhundert die befestigten Palazzi und Geschlechtertürme der Santacroce auf Anordnung des Papstes geschleift wurden und die Unruhestifter das Viertel verlassen mussten – um nach wenigen Jahren (unter einem anderen Papst) wieder zurückzukehren und nahe den Besitzungen der Cenci ihre Palazzi neu zu errichten.

Die Cenci und Santacroce waren wohlhabend, einflussreich, skrupellos und nicht selten verbrecherisch. Eine der übelsten Figuren, Francesco Cenci, hatte 1563 im Alter von 14 Jahren die gleichaltrige Ersilia Santacroce geheiratet. Aus der Verbindung gingen 12 Kinder hervor, von denen fünf Jungen und zwei Mädchen (Antonina und Beatrice) das Erwachsenenalter erreichten. Francesco C. galt als habgierig, autoritär und unvorstellbar brutal. Wegen seiner perversen Neigungen wurde er wiederholt vor Gericht gestellt, konnte sich aber immer wieder dank seines Adelsstandes und großer Geldzahlungen der Strafe entziehen. Um der ständigen häuslichen Gewalt zu entfliehen, verlangte Antonina von ihrem Vater, entweder die Kosten für ein Leben im Kloster zu übernehmen oder ihr eine Heirat zu ermöglichen. Hier mischte sich Papst Klemens VIII. ein, Spross des Aldobrandini-Clans, der als Gegner der Medici von Florenz nach Rom gelangt war. Er überredete Francesco Cenci, den ausgemachten Geizhals, eine ordentliche Mitgift zu stellen. Der aber fürchtete nun, Beatrice könnte dem Beispiel folgen und verbannte sie gemeinsam mit seiner zweiten Frau Lucrezia nach Petrella Salto in Latium/Lazio, wo sie in einer kleinen Burg festgehalten wurden. Ihre Lage verschärfte sich dramatisch, als der von Gicht und Krätze gezeichnete Francesco C. sich auf der Flucht vor seinen Gläubigern und drohenden Gerichtsverfahren nach Petrella Salto zurückzog. Gewalt war nun wieder an der Tagesordnung, Gerüchte von Inzest machten die Runde, der Mordplan nahm Gestalt an.



Zwei Vertraute, die Diener Olimpio Calvetti und Marzio da Fioran, töteten den Tyrannen mit Hammerschlägen auf den Kopf. Das geschah am 9. September 1598. Um einen Unfall vorzutäuschen, warfen sie den Leichnam von einem Balkon. Doch sie hinterließen zu viele Spuren, ein Verdacht kam auf, die Verschwörer wurden festgenommen, verhört und gefoltert. Es folgten Geständnisse und die Urteilssprüche.

Mildernde Umstände aufgrund der Gewaltexzesse gegen Familienmitglieder hätten die Verurteilten retten können, außerdem war es in jener Zeit gängige Praxis, Angehörigen des Adels Schutz vor Verfolgungen zu gewähren. Aber Papst Klemens ließ sich zu keiner Nachsicht bewegen. Er wollte ein Exempel statuieren, das wüste Treiben bestimmter Familien des römischen Stadtadels an den Pranger stellen. Gerade hatte Beatrices Cousin, Paolo Santacroce, seine Mutter umgebracht, weil er vermutete, sie wolle ihn enterben und wenige Tage zuvor war Fürst Marcantonio Massimo zum Mörder an seinem älteren Bruder geworden, weil er sich die Primogenitur (Erb- und Nachfolgerecht) sichern wollte.

Die Verschwörer wurden zum Tode verurteilt. Die beiden Bediensteten, die Hand angelegt hatten, waren schon tot: einer starb an den Folgen der Folter, der andere war von einem Cenci-Vertrauten als gefährlicher Mitwisser getötet worden.

Öffentlich wahrgenommen wird eigentlich nur Beatrice. Grund ist ihre Jugend und Schönheit, die ihrer Gestalt die „Aura eines unschuldigen Opfers“ verleiht. Dabei war sie laut Gerichtsakten „die eigentliche Anstifterin und die treibende Kraft hinter dem Verbrechen“. Verantwortlich für die mitfühlende Sicht ist in erster Linie ein Gemälde von Guido Reni, ein Werk des Barockmalers aus dem Jahr 1600, das Beatrice im Gefängnis zeigen soll, wenige Tage vor ihrer Hinrichtung. Doch die Zuordnung ist zweifelhaft und ob die Porträtierte tatsächlich Beatrice darstellt, ist auch nicht sicher. Das Gemälde ist in der Galleria Nazionale d`Arte Antica im Palazzo Barberini ausgestellt.

Guido Renis Bildnis und die vielen zeitgenössischen Berichte, die vollständig erhaltenen Gerichtsakten und die düsteren Palazzi der Cenci-Familie haben unzählige Autoren und Komponisten, Maler und Filmemacher dazu animiert, dem Leben und Sterben der jungen Märtyrerin nachzuspüren. Einer von ihnen war der englische Romantiker Percy Bysshe Shelley, der mit „The Cencis“ in Rom im Mai 1819 eine Tragödie in fünf Akten zu Papier brachte, ein anderer war der Franzose Stendhal mit seiner Erzählung „Les Cenci“, veröffentlicht 1829 in den „Chroniques Italiennes“. Auch Alexandre Dumas der Ältere vertiefte sich in das Thema in seinen „Crimes celebres...“ von 1856 und Alberto Moravia veröffentlichte 1955 in der internationalen Literaturzeitschrift „Botthege Oscure“, in der Malraux, Grass, Camus, Pasolini u. v. a. schrieben, seine Tragödie „Beatrice Cenci“. Der Argentinier Alberto Ginastera komponierte 1971 die Oper in zwei Akten „Beatrix Cenci“ und das gleichnamige Singspiel des deutschen Komponisten Berthold Goldschmidt erlebte seine Uraufführung 1994 in der Berliner Philharmonie. Mario Caserini war 1909 der erste Filmemacher, der das Cenci-Drama auf Zelluloid bannte.

Unter einem Stein ohne Namen wurde der Leichnam der Beatrice in der Kirche San Pietro in Montorio oberhalb von Trastevere beigesetzt. Während der französischen Besetzung Roms schändeten Soldaten vermutlich 1798 ihr Grab und entfernten ihre Gebeine. Sie sind seither verschollen.
Fünf Monate nach ihrem Tod ließ Papst Klemens VIII. den Philosophen Giordano Bruno zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilen.

Anlässlich des 400. Todestages der Beatrice Cenci wurde am Haus Nr. 42 in der Via di Monserrato eine Gedenkplakette enthüllt:


Rom: Beatrice Cenci

Von hier,
wo das Corte Savella-Gefängnis stand,
trat am 11. September 1599
BEATRICE CENCI
den Weg zum Schafott an -
exemplarisches Opfer einer ungerechten Justiz
S.P.Q.R. 1999





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