Reiseführer Rom

Antonio Canova (1757 – 1822)

Er genoss weltweite Beachtung, war einer der am meisten bewunderten Künstler seiner Zeit. Seine meisterhaften Bildwerke lösten eine Nachfrage aus, die kaum noch zu befriedigen war. Im Angesicht von Canovas Skulptur der „Hebe“, der griechischen Göttin der Jugend, erlebte der spätere Bayernkönig Ludwig I. in Venedig sein künstlerisches Erweckungserlebnis und Jacob Burckhardt, renommierter Kunst- und Kulturhistoriker, meinte, für ihn sei Canovas Werk „der Markstein einer neuen Welt“. Der Hochgelobte gilt als Italiens bedeutendster Bildhauer der Epoche des Klassizismus. Diese Kunstrichtung lässt sich ungefähr zwischen 1760/70 und 1830/40 einordnen. Sie lebt von der Rückbesinnung auf die römische und griechische Antike in der Architektur und Bildhauerei, in der Malerei dagegen ist die italienische Renaissance das Vorbild.

Rom: Canova

Eigentlich hat nur im deutschen Sprachraum der Begriff Klassizismus Fuß gefasst. In der internationalen Kunstwelt wird in der Regel von „Neoklassizismus“ gesprochen, gab es doch schon im antiken Rom des Kaisers Augustus, also um die Zeitenwende, und noch mehrfach danach klassizistische Strömungen, die sich an griechischen Kunstwerken orientierten. Der Trend zum (Neo)klassizismus entstand aus einem gewissen Überdruss an der überschwänglichen Formensprache des Spätbarock und Rokoko und einer zunehmenden Vorliebe für die klaren Linien antiker Vorbilder in Architektur und Kunst.

Besonderen Einfluss auf die deutsche Architektur- und Kunstszene im ausgehenden 18. Jahrhundert hatte Johann Joachim Winckelmann, der die wissenschaftliche Archäologie und die Kunstwissenschaft etablierte und während seiner vielen Jahre in Italien das Amt eines päpstlichen Antiquarius und Kommissars der Altertümer in Rom innehatte. Er gilt als der eigentliche Begründer der klassizistischen Strömung. Von ihm stammt der Ausspruch „Der einzige Weg für uns, groß, ja, wenn es möglich ist, unnachahmlich zu werden, ist die Nachahmung der Alten“. Zu seinen ersten Schriften gehörte „Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst“.

Als Canova, zweiundzwanzigjährig, seinen Heimatort Possagno in der Provinz Treviso verließ, um sich zu Antikenstudien in Rom niederzulassen, konnte er sich dort auf ein Netzwerk einflussreicher Landsleute aus dem Veneto stützen. Schon mit seinen römischen Frühwerken (darunter eine seiner besten Arbeiten: das Ehrenmal für Papst Clemens XIII. im Petersdom) begeisterte er seine Auftraggeber und die sonst so strengen Kunstkritiker erkannten sein Talent an. Mit dem 1782 entstandenen Marmorbildnis „Theseus als Besieger des Minotaurus“ (heute im Victoria &Albert Museum, London) begründete er seinen Ruf als neoklassizistischer Ästhet, der virtuos seiner Figur „edle Einfalt und stille Größe“ ganz im Winckelmannschen Sinne verlieh. In rascher Folge schuf er Grabdenkmäler für Päpste, Abbilder von Helden und antiken Gottheiten, schließlich 1804/06 „Perseus mit dem Haupt der Medusa“, das Papst Pius VII. erwarb und als erstes modernes Werk den antiken Schätzen der Vatikanischen Museen zur Seite stellte. Auch Napoleon und die Bonaparte-Familie gaben bei ihm Werke in Auftrag. Der Kaiser war einverstanden mit seiner 68 cm hohen Büste, doch seine nackte Kolossalstatue in der Pose eines Frieden stiftenden Mars, heute im Londoner Apsley House an der Hyde Park Corner ausgestellt, lehnte er vehement ab, da er seine imperiale Würde verletzt sah.

Rom: Canova

Replik seiner Italischen Venus

Keine Einwände hatte er, als seine Schwester Paolina ,Ehefrau des Fürsten Camillo aus dem Clan der Borghese, einer römischen Familie von Geblüt, weitgehend entblößt, Modell saß zu einer lebensgroßen Porträtstatue – ein damals unerhörter Vorgang, der die römische Gesellschaft in helle Aufregung versetzte. Um ihren Körper möglichst natürlich erscheinen zu lassen, ließ Canova die Marmoroberfläche mit einer dünnen Wachsschicht überziehen.

Andere Meisterwerke jener Epoche waren „Amor und Psyche“ (Louvre, Paris) und „Die drei Grazien“ (Eremitage, St. Petersburg).

Rom blieb für ihn der wichtigste Bezugspunkt. Er wurde Oberaufseher der päpstlichen Antikensammlungen und Mitglied der Accademia di San Luca, der heutigen Accademia di Belle Arti in der Via di Ripetta. Er gehörte zahllosen europäischen Kunstakademien an.

Wohl kein Bildhauer seiner Zeit verstand es besser als Canova, die Ideale der antiken Kunst wiederaufleben zu lassen und ihr noch einen Hauch Anmut hinzuzufügen, was besonders in seinen weiblichen Figuren zum Ausdruck kam – fein gegliedert, geschmeidig, in fließender Bewegung selbst in liegender Position. Es seien zarte, fast liebliche Gestalten, „zwischen Jungfrau und Göttin changierende Frauenbildnisse“, wie ein Betrachter schrieb. Eine Geschmeidigkeit, „die freilich nie ins Süßliche umschlägt“ heißt es da, während eine andere Quelle „eine gewisse Neigung zum Anmutigen und Süßlichen“ feststellt.

Über die knieende Statue von Pius VI. im Petersdom, am Ende des Hauptschiffs, heißt es lapidar: „Kopf und Hände stammen von Canova, der Rest von Adamo Tadolini“. Tadolini war Canovas Assistent und Lieblingsschüler, der an vielen prominenten Objekten Canovas mitarbeitete. Das Atelierhaus (Abb.) von Canova befand sich nahe der Piazza del Popolo in der Via Antonio Canova/Ecke Via Colonette. Es war ein beliebtes Ziel wohlhabender, zumeist adliger Reisender, die ihre „Grand Tour“ absolvierten. Nach Canovas Tod machte sich Tadolini selbständig und richtete ein eigenes Atelier in der Via del Babuino ein. Bis 1967, dann in vierter Generation, schuf die Bildhauerfamilie Tadolini hier unzählige Marmor- und Bronzeskulpturen und entwickelte eine großartige Fertigkeit in der Herstellung von Repliken berühmter Kunstwerke. Nun aber stand die Zukunft des Ateliers in den Sternen. Die Hinterlassenschaft der Tadolinis, die vielen Skulpturen, Büsten, Abgüsse, Gipsmodelle, Werkzeuge fand keine Abnehmer. Schon wollte sich ein japanisches Autohaus einnisten, da intervenierte die 1941 in Rom geborene Antiquitätenhändlerin Ida Benucci, kaufte den Nachlass auf und konnte auch seinen Verbleib am Ort durchsetzen. Um das kostenträchtige Vorhaben auf Dauer finanzieren zu können, kam ihr die geniale Idee, ein Atelier-Restaurant einzurichten, das Ristorante Atelier Canova Tadolini in der Via del Babuino 150 A+B. Es verspricht das ungewöhnliche Erlebnis, umringt von lebensgroßen Kardinälen, Generälen, Engeln und antiken Göttern aus Gips oder Marmor seinen Aperol, Caffè oder Frascati und eine aufwändige Küche zu genießen.

Rom: Canova

In seinem letzten Lebensjahrzehnt steckte Antonio Canova sein gesamtes Vermögen in ein eigenartiges Projekt in Possagno. Er entwarf die neue Pfarrkirche, den Tempio Canoviano, als perfektes Beispiel neoklassizistischer Architektur: Dorische Säulen formen einen Pronaos, eine Vorhalle wie am Athener Parthenon-Tempel. Daran schließt sich ein kreisrunder überkuppelter Baukörper an, der das römische Pantheon kopiert. In ihm entstand ein Kirchenraum mit Apsis und Altar als Beispiel frühchristlicher Architektur. So verknüpfte Canova wesentliche Elemente dreier Zivilisationen, der griechischen, römischen und christlichen, zu einer Einheit.

Antonio Canova fand hier seine letzte Ruhestätte.





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