Reiseführer Rom

Comunità Sant`Egidio

Eine erstaunliche Gemeinschaft – 1968 im Geiste des Zweiten Vatikanischen Konzils von einer Handvoll Gymnasiasten des Liceo Virgilio im römischen Stadtviertel Trastevere gegründet, wurde die Gemeinschaft schon ein paar Jahre später vom Vatikan „mit einer Mischung aus Neid und Bewunderung“ UN von Trastevere genannt und 1986 als internationale Laienorganisation anerkannt. Zwar versteht sie sich als integralen Bestandteil der katholischen Kirche, doch betont sie die freie Entscheidung über das eigene Vorgehen, fragt die Kurie nicht um Erlaubnis, hält aber die Kirchenführung ständig auf dem laufenden.

Rom: Porta Pia

Kirche Sant`Egidio in Trastevere


Benannt hat sich die Gemeinschaft nach dem mittelalterlichen Karmeliterinnen-Kloster Sant`Egidio in Trastevere, wo auch ihr Sitz ist. Heute ist die Gemeinschaft mit zehntausenden freiwilligen Helfern weltweit engagiert. In den Gründungsjahren widmete sie sich mit viel Elan den Armen des Viertels, den Obdachlosen, kümmerte sich um vernachlässigte Kinder und entwurzelte Ausländer. Die Mitglieder sammelten Geld, organisierten Hilfsprojekte, sorgten für medizinische Betreuung und halfen bei Behördengängen. So entstand ein Netzwerk von Helfenden und Unterstützern, ein kleines Heer von Volontariati, von Freiwilligen, die eine ihnen fremde Welt vor ihrer eigenen Haustür entdeckten. „Wir begriffen“, so der Gründer der comunità, Andrea Riccardi, „dass die Dritte Welt in unserer Nähe lag. Die Täuschung der bürgerlichen Stadt bestand darin, dass die Armen versteckt wurden. Man konnte leben, ohne sie wahrzunehmen“.

Der nächste Schritt ließ nicht lange auf sich warten: nach der Fürsorge für die Notleidenden in der Nachbarschaft, richtete man die Augen auf die hilfsbedürftigen Völker in der Welt. Keine leichte Entscheidung, die heimatlichen Gefilde zu verlassen und sich im Dienst von Frieden und Versöhnung internationalen Herausforderungen zu stellen wie etwa dem Teufelskreis aus Armut und Fanatismus. Es musste umgedacht werden, denn nicht die direkte helfende Aktion war jetzt in vielen Situationen gefragt, sondern eine „quasi diplomatische Tätigkeit“, Diskretion, Verschwiegenheit, verdeckte Kontaktarbeit. Und so wurde es möglich, einen in vielen Fällen fruchtbaren Dialog mit Vertretern anderer politischer Systeme, Kulturen und Religionen zu führen und Entwicklungen anzustoßen, die bestenfalls die Lebenssituation in manchen Ländern verbessern konnten – aber Rückschläge und deprimierende Fehlentwicklungen blieben nicht aus. Im Vordergrund der besonders auf dem afrikanischen Kontinent aktiven Amateurdiplomaten standen Konfliktabbau, Friedenssicherung, Vermittlung zwischen verfeindeten Parteien und Ethnien und das immer ohne öffentliche Begleitung. Viele Kontrahenten wurden nach Trastevere eingeladen, blieben lange, kamen wieder, verständigten sich – und die Öffentlichkeit erfuhr erst viel später davon. Diese stille Diplomatie wurde zum Markenzeichen der comunità und war gewiss auch ihr Erfolgsrezept.

So wurde zweieinviertel Jahre zwischen den verfeindeten Bürgerkriegsparteien aus Moçambique verhandelt, bis 1992 in Trastevere ein Friedensvertrag zustande kam. Seitdem gedeiht im Klosterhof von Sant`Egidio eine kräftige Bananenstaude – ein Geschenk der Afrikaner an die römischen Gastgeber. Der mühsam ausgehandelte Kompromiss zwischen den ethnischen und religiösen Gruppen aus der Zentralafrikanischen Republik hielt 2017 nur eine kurze Zeit, erfolgreicher waren die Vermittlungen im Libanon (1982), im Niger (2010), in Guinea, Angola und Burundi, in Guatemala und im Kosovo. Im Senegal leistete Sant`Egidio Hilfestellung bei den zähen Verhandlungen zwischen der Zentralregierung und der nach Unabhängigkeit strebenden Provinz Casamance, bewegte in Algerien 1995 verschiedene oppositionelle Parteien zu einer gemeinsamen Plattform und erreichte 1997 in Albanien ein Fairness-Abkommen zwischen verfeindeten Parteien.



Der dies alles in Bewegung setzte und die Gemeinschaft nach Außen vertrat, war ihr Begründer, Andrea Riccardi, 1950 geboren und damals, als die comunità entstand, gerade 18 Jahre alt. Er wurde Historiker, erhielt eine Professur für Neuere Geschichte an der Universität „Roma Tre“, war 2011/13 Minister im Kabinett Monti für internationale Zusammenarbeit und Integration. Eine hoch angesehene Persönlichkeit, mit einem guten halben Dutzend Ehrendoktorwürden und unzähligen internationalen Auszeichnungen geehrt, Präsident der Dante-Alighieri-Gesellschaft und 2009 Träger des Aachener Karlspreises, der Persönlichkeiten oder Institutionen verliehen wird, die den europäischen Integrationsprozess voranbringen, die zur „Verteidigung der höchsten irdischen Güter – Freiheit, Menschlichkeit und Frieden“ beitragen sowie „den unterdrückten und Not leidenden Völkern wirksam helfen und die Zukunft der Kinder und Enkel sichern“.





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