Reiseführer Rom

EUR ...

. . . steht für Esposizione Universale di Roma (Weltausstellung in Rom). Geplant war sie für 1941. Aber es kam anders. Weltausstellungen gibt es als periodische Veranstaltungen seit 1851. Ein 1928 eingerichtetes Bureau International des Expositions regelt als Aufsichtsbehörde die Vergabe an Bewerberstaaten. So erhielt Italien im Oktober 1936 den Zuschlag für die 1941 anstehende Weltausstellung und das trotz erheblicher Bedenken wegen des italienischen Angriffskrieges gegen Abessinien. Man zeigte sich großmütig gegenüber dem Duce in Rom und fügte sich auch seiner Forderung, die Weltausstellung in das Jahr 1942 zu verlegen, um sie gemeinsam mit dem Jubiläum der 20jährigen Herrschaft des Faschismus in Italien zu begehen.


1937 wurde mit den architektonischen Planungen begonnen, die 1938 von Mussolinis Lieblingsarchitekten Marcello Piacentini modifiziert wurden. Beide, Mussolini und Piacentini, verfolgten die gleiche Idee, etwas Neues entstehen zu lassen, ein modern-monumentales Stadtviertel, eine romanità moderna. Grandiosità e monumentalità lautete die dazugehörige Parole. Nahe dem Tiber auf seinem Weg zum Meer sollte sie emporwachsen, außerhalb der romanità antica, dem Rom der Imperatoren und Päpste, aber auf ewige Zeiten an sie gebunden, sie, die gerade eine faschistische Rekonstruktion in großem Stil erlebte.

Straßenszene Rom

Ungewohnte römische Straßenszene

Vittorio Graf Cini, verantwortlich für die Planung und Durchführung der Weltausstellung, schrieb voller Begeisterung für das Projekt, es werde eine Stadt entstehen „aus weißem Marmor und goldenem Travertin, von Wasser und Grün belebt . . . eine neue Stadt, würdig neben der antiken zu stehen . . .geschaffen . . . das vielseitige dynamische Leben von heute und von morgen aufzunehmen“. Er verwies damit auf eine interessante Anregung Piacentinis, der das römische Projekt anders gestalten wollte als es üblicherweise geschieht. Zwar sollten, wie gewohnt, die Pavillons der Gastnationen nach dem Ende der Ausstellung abgebaut werden, dagegen wollte man die vom Gastgeber Italien errichteten Gebäude und Infrastrukturen dauerhaft erhalten, sollten sie doch den Kern eines neuen Stadtviertels bilden. Deshalb die Forderung, die Bauten „dürften auch nach fünfzig oder hundert Jahren nicht veraltet oder überholt wirken“.

Fassadenschmuck Rom

Fassadenschmuck

Ende und Neuanfang

Es wurde zügig gebaut, 1939 konnte das erste Gebäude übergeben werden, andere folgten 1940. Doch schon im Sommer dieses Jahres war klar, der Zeitplan war nicht einzuhalten. Wenig später wurden die Arbeiten eingeschränkt, die Mittel gekürzt. Ab 1942 kehrte kriegsbedingt auf der gigantischen Baustelle gespenstische Ruhe ein. 1943 kollabierte das faschistische Regime.

Nach Kriegsende quartierten sich Evakuierte, Flüchtlinge und Obdachlose in den halbfertigen Gebäuden ein. Das Gelände verkam zu einem „Steinbruch und Abhollager für alle Arten von Baumaterialien“. Eindrucksvoll der Bericht eines Lokalchronisten im „Messagero“ vom 23.5.1953. Er erlebte ein enormes Ruinenfeld, „eine Staunen und Furcht erregende Totenstadt, über die sich, so schien es, die Lava des Schreckens ergossen hatte. Trümmer zerbrochenen Marmors lagen überall auf dem Gelände herum. Unkraut und Brombeerranken überwucherten die Rabatten; und zwischen ihnen verstreut in völliger Unordnung die schaurig verstümmelten Häupter marmorner Statuen, Bruchstücke von Travertin aus den Materiallagern und kostbare Marmorplatten, zerschellt wie nach einem Sturm der Verwüstung“.

Um die Ebbe in der römischen Staatskasse nicht noch zu vergrößern, wurden Teile des EUR-Geländes an private Investoren verkauft. EUR hatte den Ruf eines Stadtteils mit Zukunft erworben. Das Interesse war so groß, dass noch in den 50er Jahren die Projekte der Vorkriegszeit abgeschlossen werden konnten – freilich nicht alle und manches Halbfertige wurde abgerissen.

In jenen Jahren gab es sie noch, „jene magisch-metaphysische ...Ausstrahlung“, die Filmregisseure anzog, fasziniert „von den schweigenden, leeren Straßen und Plätzen und den wie Kulissen aus dem Nichts aufragenden Großbauten...der beinahe surrealen Anmutung der schwebenden Verlassenheit...ideale Schauplätze für verfremdende Szenen und Episoden“. Und irgendwie, meint ein Beobachter der Szene, gelingt es sogar, die Bausünden in Form funktionalistischer Großbauten für Büros und Verwaltungen seit den 70er Jahren zu neutralisieren, dank der ästhetischen Wirkung und gekonnten Inszenierung des ´alten` EUR.

Der Obelisk auf der Prachtstrasse in Rom

Der Obelisk auf der Prachtstrasse

Besichtigungstour

Bei einem Rundgang durch das merkwürdig unbelebt wirkende Viertel mit seinen überbreiten schnurgeraden Trassen, auf denen Autopulks für etwas Getriebe sorgen, bekommt man zu spüren, welche herausragende Rolle in der Aufbauphase die Symbolpolitik spielte. Zweckmäßigkeit war nicht gefragt, als man die Streckenführung der Via Imperiale festlegte, die an der Piazza Venezia begann und nach etlichen Kilometern als Magistrale (heute: Via Cristoforo Colombo) das neue Viertel durchzog. Es galt, das alte Rom der kaiserlichen Machthaber und dominanten Kirchenfürsten mit der strahlenden Moderne einer faschistischen Zukunft zu einer Einheit zu formen.

Ins Auge fällt ein Obelisk. Die moderne Stele markiert den Mittelpunkt des EUR-Viertels. Auf einem kreisrunden Rasenstück ragt sie 45 m in die Höhe und zwingt die Autofahrer, sie auf der vielspurigen Via Cristoforo Colombo zu umkreisen. Der Obelisk wurde 1939 in Auftrag gegeben, um den italienischen Funk- und Radiopionier und Physik-Nobelpreisträger Guglielmo Marconi ein Denkmal zu setzen. Doch erst 1959 konnte er aufgerichtet werden. Seine gestutzte Pyramide aus Stahlbeton umkleiden 92 mit Hochreliefs verzierte Platten aus Carrara-Marmor.

Den weiträumigen Platz umrahmen im Monumentalstil errichtete kulturelle Einrichtungen. In östlicher Richtung führt die Viale della Civiltà Romana auf die mächtigen mit Tuffstein verkleideten Baukörper des Museo della Civiltà Romana zu, dessen Hauptthema die antike römische Zivilisation ist.

Kongresshalle Rom

Kongresshalle

Zurück zur breiten Magistrale und erneut nach Osten, diesmal auf der Viale della Civiltà del Lavoro. Ein kurzes Stück noch und man steht vor dem Palazzo dei Congressi. Wie der Name sagt, war er für Tagungen vorgesehen. Baubeginn war 1939, dann gab es diverse Unterbrechungen und erst 1954 konnte der Bau vollendet werden. Entstanden war ein trotz seines erheblichen Volumens relativ elegantes Gebäude mit einer gewagten, hochmodernen Dachlösung, Marmorfassaden und Granitsäulen, die nachträglich eingefügt werden mussten, denn allen repräsentativen Bauten waren von Amts wegen Säulen vorgeschrieben. Geht man den Weg zurück und überquert die Magistrale zeigt sich schon bald im Hintergrund eine Architektur-Ikone des 20. Jahrhunderts, die jeder kennt, der sich auch nur ein wenig mit Architekturgeschichte befasst.
Palazzo della Civiltà Italiana
Es ist der Palazzo della Civiltà Italiana mit seinen charakteristischen Mauerbogen, die nicht zufällig denen des Kolosseums ähneln, ihm deshalb auch den Beinamen Colosseo quadrato einbrachten. Ein paar Daten vorweg: Höhe 68 m, je 51 m Seitenlänge, alle Seiten sind gleichartig gestaltet, das Gebäude ruht wegen des instabilen Untergrunds auf 900 Betonpfählen, 216 Mauerbogen, jeder 6,40 m hoch und 4,20 m breit, 1938 begonnen und 1940 vollendet. Die tragenden Teile sind aus Stahlbeton, verkleidet mit Travertinplatten. Rundbogen und Loggia dominieren gemäß römischer Tradition das Bauwerk, ganz auf visuelle Wirkung bedacht, einfach und klar in seiner Form, nicht einer bestimmten Funktion zuzuordnen. Eine Korrekturorder mussten die Architekten hinnehmen: Das eigentlich geplante 7. Stockwerk war „blind“ auszuführen, um auf allen vier Seiten die nötige Fläche für eine Inschrift zu gewinnen, die lautet: Ein Volk von Poeten und Künstlern, Helden und Heiligen, Denkern und Wissenschaftlern, Seefahrern und Auswanderern

Wandmosaik in der U-Bahn-Station EUR Fermi

"Wer glaubt, wird erlöst", Wandmosaik in der U-Bahn-Station EUR Fermi

Wenn man zurückfährt mit der Metro-Linie B etwa von der Haltestelle EUR Fermi fällt jenseits des kleinen künstlichen Sees eine flache Kuppel mit dem imponierenden Durchmesser von 100 m ins Auge. Der alternde Piacentini war hier wieder dabei, einst Mussolinis Favorit, nun geläutert und befreit von der ideologischen Überfrachtung der Vorkriegszeit und dem Wandel zur demokratischen Ära der Nachkriegszeit verschrieben. Gemeinsam mit dem jungen Pier Luigi Nervi, von dem die großartige Eingangshalle zum Bahnhof Termini stammt, machte er sich ans Werk und schuf den überkuppelten Palazzo dello Sport, der 1960 anlässlich der Olympischen Spiele seine Feuertaufe bestand und so etwas wie einen Schlussakkord der Nachkriegsarbeiten am Projekt EUR darstellte.
Palazzo dello Sport





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