Reiseführer Rom

San Paolo fuori le mura

In einer heißen Sommernacht des Juli 1823 ging die tausendfünfhundert Jahre alte Basilika Sankt Paul vor den Mauern in Flammen auf. Die bis zum Neubau von St. Peter im Vatikan (geweiht 1626) größte Kirche der Christenheit verwandelte sich binnen weniger Stunden in eine rauchende Trümmerstätte. Auslöser der Katastrophe war eine glühende Kohlenpfanne, die nicht sorgfältig gelöscht worden war, nachdem Klempner ihre Restaurierungsarbeiten an den Dachrinnen des Mittelschiffdaches beendet hatten und sich auf den Heimweg machten. In der Nacht kam Wind auf, Funkenflug setzte den hölzernen Dachstuhl in Brand und von dort sprangen die Flammen ins Innere der Kirche. Als die Feuerwehr ihr wenig effektives Gerät endlich in Stellung gebracht hatte, war die Basilika nicht mehr zu retten und man beschränkte sich darauf, das angrenzende Konventgebäude vor dem Feuer zu bewahren.

Rom: San Paolo fuori le mura: Mosaiken an der Westfassade

Mosaiken an der Westfassade


Es war ein immenser Verlust, der den historischen Baubestand Roms traf. Zunächst herrschte Ratlosigkeit. Es war schließlich nicht irgendeine Kirche, die niedergebrannt war, es war die Apostelkirche des hl. Paulus, über dessen mutmaßlichem Grab der Bau errichtet worden war. Die erstaunlich gut erhaltene spätantike Anlage wurde als ein einzigartiges Zeugnis des frühen Christentums verehrt. San Paolo verwahrte zahllose Reliquien von unschätzbarem Wert und seine überragende kunstgeschichtliche Bedeutung zog Laien und Fachleute gleichermaßen an. Die Kirche zählte und zählt noch heute zu den sechs ranghöchsten römisch-katholischen Gotteshäusern (Basilicae Maiores), von denen vier in Rom beheimatet sind und zwei in Assisi. Seit dem 20. Jahrhundert werden sie als Papstbasiliken bezeichnet, davor trugen sie den Titel einer Patriarchalbasilika. San Paolo gehört auch zum Kreis der traditionellen sieben römischen Pilgerkirchen, die von Pilgern – so will es das strenge Procedere – zu Fuß an einem Tag zu besuchen sind, um in den Genuss von Gnadenakten (Ablässen) zu kommen.

Genauere Untersuchungen der Unglücksstätte kamen zu dem überraschenden Ergebnis, dass mehr von dem alten Baubestand erhalten geblieben war, als man zu hoffen wagte. Das befeuerte den in allen Bevölkerungsschichten geäußerten Wunsch nach Wiederherstellung des historischen Monuments. Die Frage war nur, welchen Weg man dabei einschlagen sollte: eine Rekonstruktion unter Berücksichtigung noch vorhandener, stabiler Strukturen oder einen Neubau, nachdem alle Relikte des alten Baus entfernt worden waren. Einer der liberalen Zeitgenossen jener Jahre, der französische Schriftsteller Stendhal, hielt in seinen 1829 veröffentlichten „Promenades dans Rome“ fest: Ich besuchte St. Paul am Tage nach dem Brande. Ich fand hier eine Schönheit von erhabener Strenge und erhielt den Eindruck eines Unglücks, von dem in den schönen Künsten nur Mozarts Musik eine Idee geben kann. Alles spiegelte den Schrecken und die Verwüstung dieses schicksalvollen Ereignisses; die Kirche war erfüllt von schwarzen, rauchenden und halbverbrannten Balken, Große, von oben bis unten gesprungene Säulenstücke drohten bei der geringsten Erschütterung herabzustürzen. Die Römer, welche die Kirche erfüllten, waren ratlos. Es war eines der ergreifendsten Schauspiele, die ich je gesehen habe . . .



Nach kontroversen Diskussionen entschied man sich gegen einen Neubau und für einen Wiederaufbau in alten Formen, für eine „Ripristination“, eine „weitgehende Wiederherstellung des vorherigen Zustands“. Denn – wie man heute weiß – ging es den Entscheidern vor allem darum, „die historische und normative Kontinuität zu betonen“. Mit dem Startschuss zum Wiederaufbau war zwangsläufig die Frage verbunden, wie die enormen Summen für ein so riesiges Projekt aufgebracht werden können. Ein erfolgversprechendes Vorgehen sah man darin, Einnahmequellen auch im Ausland zu suchen, eine breite internationale Hilfsbereitschaft zu mobilisieren und das nicht nur, um Geld einzusammeln, sondern auch – so wird das damalige Vorgehen heute interpretiert – um „die Unverzichtbarkeit der Religion für die Restauration der europäischen Staatenwelt ins Bewusstsein zu rücken“. Das Werben um finanzielle Unterstützung hatte großen Erfolg: Neben Kollekten in den Bistümern, Sondersteuern und unzähligen Individualspenden brachten die diplomatischen Bemühungen im befreundeten Ausland viel Geld in die Kassen. Die Königshäuser Sardiniens und Frankreichs spendeten großzügig wie auch die protestantischen Herrscher der Niederlande und der orthodoxe Zar Nikolaus I. in Russland, selbst der muslimische Vizekönig Ägyptens, Muhammad Ali Paşa, zeigte sich spendabel.

Rom: Antico Caffe Greco

Triumphbogen und Apsis

Ein kurzer Blick in die Frühzeit von San Paolo

Manche Überlieferungen tragen legendenhafte Züge. So sind Ort und Zeit der Hinrichtung des Apostels Paulus und seine letzte Ruhestätte nicht wirklich zuverlässig nachweisbar. Eine geläufige Lesart spricht vom Jahr 67, in dem er durch das Schwert den Märtyrertod erlitten habe. Das soll nahe dem heutigen Kloster Tre Fontane an der Via Laurentina geschehen sein. Beigesetzt wurde er nach den Aufzeichnungen der apokryphen (nicht gesicherten, möglicherweise sogar gefälschten) Paulusakten in der nahen antiken Nekropole an der Ausfallstraße nach Ostia, der noch heute existierenden Via Ostiense. Ein römischer Priester namens Gaius verkündete um das Jahr 200, er habe das Grab des Paulus an der Via Ostiense entdeckt und darüber eine cella memoriae errichten lassen, einen kleinen Raum der Erinnerung. Deutlich größer war die Memorialbasilika, die um 324 über der kleinen cella errichtet wurde. Ihr Auftraggeber war Kaiser Konstantin, in dessen Regierungszeit den Bürgern des Römischen Reiches die Religionsfreiheit garantiert wurde und das Christentum seinen Siegeszug antrat. Angeregt von den drei Kaisern Valentinian II., Theodosius I. und Arcadius wurde schon wenige Jahrzehnte später die Memorialbasilika wieder abgetragen und durch die Paulus-Basilika nach nicht einmal zehn Jahren Bauzeit ersetzt. Papst Siricius nahm 390 die Weihe des Neubaus vor. Entstanden war – 128 m lang, 65 m breit, 30 m hoch – eine fünfschiffige Basilika mit Querhaus und Ostapsis und großflächigem Vorhof. Ein Riesenbau, größer als Alt-St. Peter, der ab 1503 demontiert wurde, um dem neuen St. Peter (geweiht 1626) Platz zu machen. Im Laufe seines fast tausendjährigen Bestehens erlebte San Paolo keine durchgreifenden baulichen Veränderungen. Ausschmückungen (Fresken und Mosaike) wurden erneuert und ein 1070 in Konstantinopel gefertigtes Tor verwendete man als Hauptportal der Basilika. Seit 1285 erhebt sich das kostbare Ciborium (von Säulen getragener Überbau) des Arnolfo di Cambio über dem Altar und in den Jahren 1205 bis 1240 waren Cosmaten-Künstler damit beschäftigt, den wunderschönen Kreuzgang zu gestalten.

Rom: San Paolo - Apsismosaik

Apsis-Mosaik

Die Rekonstruktion

Was Besucher unserer Tage zu sehen bekommen, ist die weitgehend originalgetreu wiederhergestellte Basilika unter Verwendung nur weniger Reste der alten Bausubstanz (Grund- und Außenmauern der Seitenschiffe). Der Wiederaufbau unter der Leitung des Architekten Luigi Poletti konnte 1854 abgeschlossen werden. Er orientierte sich strikt am ursprünglichen Grundriss und hielt die frühchristliche Raumfolge und die Proportionen bei. Das Äußere der Kirche gestaltete er schlicht und schmucklos, ersetzte aber den ehemals offenen Dachstuhl durch eine geschlossene Kassettendecke. Besonders eindrucksvoll ist der „Säulenwald“ teils korinthischer Ordnung aus 4 X 20 monolithischen Granitsäulen, die die fünf Schiffe des Langhauses unterteilen. Die imposanten Säulenreihen richten sich auf den auffällig ornamentierten Triumphbogen aus, den zwei gewaltige Granitsäulen ionischer Ordnung stützen. Die Mosaiken des Triumphbogens waren ein Geschenk der Kaisermutter Aelia Galla Placidia (sie starb im Jahr 450). Der Brand hat das Meisterwerk teilweise zerstört. Seine Restaurierung war nach Meinung einiger Kritiker nicht sachgemäß. Der Inhalt sei zwar richtig wiedergegeben, entspreche aber stilistisch nicht dem Original. Anschließend an den prächtigen Bogen öffnet sich das Halbrund der Apsis. Das ursprüngliche Apsismosaik aus der Zeit um 450 wurde im 13. Jahrhundert umgearbeitet. Obwohl durch das Feuer beschädigt, konnten einzelne Teile des mittelalterlichen Mosaiks bei der Rekonstruktion im 19. Jahrhundert wiederverwendet werden.

Über den Kolonnaden reihen sich die Portraitmedaillons aller Päpste auf, angefangen von Petrus bis zu Franziskus. Aber erst die Papstbildnisse ab dem 16. Jahrhundert zeigen sie so, wie sie wirklich aussahen. Die früheren Portraits sind reine Phantasie. Oberhalb der Galerie der Päpste sind rund drei Dutzend Fresken zu sehen, die Szenen aus dem Leben des Apostels Paulus darstellen. Das kostbare Ciborium aus dem Jahr 1285 überragt den Hauptaltar, unter dem sich das Apostelgrab mit dem Sarkophag des Paulus befindet – so jedenfalls die feste Überzeugung führender Kleriker. Auch der daneben stehende und mit Reliefszenen verzierte Osterleuchter überstand wie das Ciborium den Brand ohne Schaden zu nehmen. Das marmorne Kunstwerk stammt aus der Zeit um 1180 und ist mit seinen fast sechs Metern der größte und sicher auch kostbarste seiner Art in Rom.

Erst 1874 waren die großflächigen Mosaiken an der Westfassade angebracht worden. Sie waren in den vatikanischen Werkstätten entstanden, wo man sich vom Original des 10. Jahrhunderts inspirieren ließ. Noch jünger ist das Atrium, der von fast 150 Säulen umrahmte Quadriportico, der in den Jahren 1890 bis 1928 entstand, einen schönen Innenhof bildend mit dem Standbild des schwertbewehrten Paulus.

San Paolo fuori le mura - Artefakte im Kreuzgang
San Paolo fuori le mura - Artefakte im Kreuzgang

Artefakte im Kreuzgang

Die seit der Frühzeit (6. Jahrhundert) an die Südseite der Kirche angrenzende Abtei der Benediktiner, erhielt in den Jahren 1205 bis 1241 einen wunderschönen Kreuzgang, ein Glanzlicht der Anlage von San Paolo, den das verheerende Feuer von 1823 glücklicherweise verschonte. Etwa zur gleichen Zeit entstand auch der bewundernswerte Kreuzgang von San Giovanni in Laterano. Beide sind Hauptwerke der Cosmatenkünstler der Familie Vassalletto, wobei ihr Können in San Paolo vielleicht noch einen Deut mehr begeistert: die größere Vielfalt, der Formenreichtum, allein die Doppelsäulen mit ihren Marmorintarsien oder hier glatt und dort kanneliert, in sich gedreht oder wie geflochten wirkend, zeugen von überragender Meisterschaft. Die Rundbogenarkaden des Kreuzgangs öffnen sich zum Kreuzgarten und in seinen Flügeln sind zahllose Relikte der alten Basilika ausgestellt, darunter Sarkophage, Reliefs, Büsten, Schrifttafeln – ein spannendes Sammelsurium historischer Zeugnisse.

Rom: San Paolo fuori le mura - Cosmatenkunst im Kreuzgang

Cosmatenkunst im Kreuzgang

Für den Vatikan scheint bewiesen zu sein, dass San Paolo tatsächlich über dem Apostelgrab errichtet wurde, nachdem bei Grabungen in den Jahren 2002 bis 2006 auf zwei Marmorplatten der Verkleidung der uralten cella memoriae diese Weiheinschriften entdeckt wurden: PAULO...APOSTOLO MART (Für Paulus … den Apostel und Märtyrer). Unter den Marmorplatten wurde ein antiker Sarkophag aus rosafarbenem, unbearbeitetem Marmor gefunden. Das besondere an ihm ist eine etwa 10 cm breite Öffnung an der Oberseite, die irgendwann später verschlossen wurde. Archäologen und Kirchenleute sind sich sicher, dass durch diese kleine Öffnung Pilger Stoffstreifen auf die Reliquien im Sarg hinab sinken ließen, die damit zu kostbaren „Berührungsreliquien“ wurden. Ob die Gebeine im Sarkophag tatsächlich Paulus zuzuordnen sind, lässt sich auch mit Hilfe der Wissenschaften nicht eindeutig belegen. Immerhin konnte zweifelsfrei bei Untersuchungen von Stoff- und Knochenresten nach der Radiokarbondatierung (C 14-Methode) das Alter der untersuchten Objekte auf das 1. oder 2. Jahrhundert nach Christus festgelegt werden.

Via Ostiense / Piazzale San Paolo 1





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