Reiseführer Rom

Sant`Andrea delle Fratte

Die barocke Basilika in Roms historischem Stadtteil Colonna bietet mit ihrer schlichten Ziegelfassade einen ungewohnten Anblick. Nicht die herkömmliche Travertinhülle oder eine marmorne Verkleidung schmücken den Bau. Der Blick wird nach oben gelenkt auf die monumentale Kuppel mit ihren dramatischen Konkav- und Konvexschwüngen und von dort auf den schneeweißen, grazilen, aus Marmor gefertigten Glockenturm, der in einer stacheligen Krone endet und lebhaft an die gewagte Konstruktion des Kuppelturms von Sant`Ivo erinnert. Dort wie hier war der geniale Francesco Borromini am Werk. Dass „die Fratte“ unvollendet blieb, lag nicht an ihm. Seinen Auftraggebern ging schlicht das Geld aus.

Sant`Andrea delle Fratte

Sant`Andrea delle Fratte - erstmals dokumentiert wurde sie 1192 als Sant`Andrea infra Hortos (bei den Gärten)


Die Kirche existierte schon im Mittelalter. Erstmals dokumentiert wurde sie 1192 als Sant`Andrea infra Hortos (bei den Gärten) und im 14. Jahrhundert wurde ihr heutiger Name delle Fratte gebräuchlich (beim Dickicht, Unterholz), was auf eine damals kaum besiedelte, dicht bewachsene Gegend hinweist. Die kleine Kirche hat man wahrscheinlich im 15. Jahrhundert restauriert oder ganz neu gebaut. Sie war dann kurzzeitig die Nationalkirche der Schotten in Rom, freilich nur bis zur schottischen Reformation. Ihre Nachfolge trat auf Anordnung von Papst Sixtus V. der Orden der Minimiten, der „mindersten Brüder“, an. Der von Franceso da Paola in Kalabrien gegründete Ordo Fratrum Minimorum lebte nach verschärften Franziskanerregeln. Sein deutscher Zweig nannte sich nach dem Ordensgründer Paulanerorden und betrieb als Einnahmequelle das Bierbrauen (Paulanerbräu).

Gaspare Guerra entwarf Pläne für einen Neubau, mit dem 1604 begonnen wurde. Finanziert wurde das Projekt in einem späteren Stadium vom Marchese/Markgraf del Bufalo, der den Familien-Palazzo am nahen Largo del Nazareno bewohnte. Doch es kam zu Verzögerungen wegen Geldmangels, vier Jahrzehnte gab es kaum nennenswerte Fortschritte. Endlich, 1653, engagierte der Erbe des del Bufalo-Clans, Paolo del Bufalo, den prominenten römischen Architekten Francesco Borromini und nun ging es voran. Allerdings befasste sich Borromini gleichzeitig noch mit einem zweiten Projekt, der Kirche Sant`Agnese an der Piazza Navona. Hier rekonstruierte er 1653-57 die Fassade und stellte die Kuppel im Rohbau fertig. Am anderen Arbeitsplatz, der Sant`Andrea delle Fratte, nahmen Vierung (das Viereck, das entsteht, wenn sich Haupt- und Querschiff durchdringen) und Chor Gestalt an und auch die Hauptattraktionen der Kirche, die Kuppel und der Campanile. Dabei blieb die Kuppel unvollständig, denn Geldmangel machte erneut einen Strich durch alle Planungen. Eigentlich sollte eine Laterne den Kuppeltambour bekrönen und durch seine Fenster Licht in das Kirchenschiff einfallen lassen. Auch war eine marmorne Verkleidung mit ausladenden konvexen und konkaven Schwüngen für die mächtige Kuppel vorgesehen. Die so gestaltete Kuppel hätte dann den Glockenturm überragt und „klare Verhältnisse“ auf dem Dach geschaffen. Und Borromini hätte vermutlich nicht das Gehänsel seiner Fachkollegen ob seines „bizarren Geschmacks“ anhören müssen. Einziges marmornes Objekt am Außenbau ist der ungewöhnliche grazile Glockenturm, der, wie hartnäckig behauptet wird, „im Rhythmus des Glockenschlags sich bewegt“. Er tanze förmlich, schwinge hin und her, weshalb ihm der Spitzname „Ballerino“ verpasst wurde. Auf einem Fundament steht ein Tholos, ein Rundtempel, darauf ruht eine schwere Balustrade, auf der auffällige, in bodenlange Engelsgewänder gehüllte Frauenfiguren, sog. Karyatiden, einen Architrav stützen, über dem Flammenvasen, Voluten und eine stachelige Krone den Abschluss bilden.

Rom: Sant`Andrea delle Fratte

Berninis Engel mit Dornenkrone

Zu den Überraschungen im Kircheninnern gehört, dass auch hier Borrominis ewiger Rivale Bernini mit zwei Prachtwerken präsent ist: Zwei Engelsfiguren von ihm, ursprünglich für die Engelsbrücke entworfen, wurden nie am vorgesehenen Ort aufgestellt. Kopien nehmen ihren Platz ein. Berninis Erben schenkten sie 1729 der Kirche. Sie stehen vor dem Choreingang, die eine mit der Dornenkrone Christi in den Hand, die andere mit der Schriftrolle, die am Kreuz befestigt war. Angeblich wollte der Auftraggeber Papst Klemens IX. die Skulpturen vor der Witterung schützen. Wahrscheinlicher ist, dass er sie selbst für seinen Palast haben wollte oder für den seines Neffen, Kardinal Giacomo Rospigliosi. Dazu kam es aber nicht, da der Papst früh starb und der Neffe nicht danach verlangte.

Rom: Sant`Andrea delle Fratte

Berninis Engel mit Schriftband

In der dritten Kapelle links vom Eingang steht der Altar, vor dem Maximilian Kolbe seine erste Messe zelebrierte. Der polnische Priester opferte 1943 im KZ Auschwitz sein Leben für das eines Leidensgenossen.

Zu den in der Kirche beigesetzten Prominenten zählt Rudolf Schadow, ältester Sohn des Grafikers und Bildhauers Johann Gottfried Schadow, Schöpfer der Quadriga auf dem Brandenburger Tor. Der in Rom geborene Rudolf Schadow, der in der Stadt am Tiber „Ridolfo“ gerufen wurde und in der klassizistischen Kunstszene um Antonio Canova und Bertel Thorvaldsen fest verankert war, starb 1822 mit nur 36 Jahren.

Eine andere bekannte Persönlichkeit der römischen Kunstszene, Angelika Kauffmann, Goethes Begleiterin durch die Galerien Roms, großzügige Gastgeberin und treue Freundin, wurde 1807 in der „Fratte“ bestattet, wo schon ihr Mann, der Venezianer Antonio Zucchi, lange vor ihr seine letzte Ruhestätte gefunden hatte.

Und noch ein Blick in den durch eine Seitentür bequem erreichbaren Kreuzgang der Minimiten. In seiner Mitte grünt ein üppiger Kreuzgarten. Dorische Travertinsäulen bilden an seinen vier Seiten stimmungsvolle Arkaden. Fresken, die über das Leben des Ordensstifters San Francesco da Paola berichten, schmücken die Wandfelder. Es ist ein friedlicher Ort, wie man ihn sich wünscht für eine erholsame Ruhepause.

Via di Sant`Andrea delle Fratte Nr. 1





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