Reiseführer Rom

Santo Stefano Rotondo

Die mächtige Rotunde auf dem Celio-Hügel ist einer der letzten Großbauten der ausklingenden Antike. Gebrannte Ziegelsteine, charakteristisch für Bauwerke jener Epoche, umkleiden den kreisrunden Kirchenbau. Wer ihn in Auftrag gab, verraten die vorliegenden Quellen nicht. Immerhin liefert der Liber Pontificalis, die spätantike Sammlung von Papstbiographien, einen Anhaltspunkt. Papst Simplicius (468 – 483), heißt es dort, habe die Kirche geweiht und so kommen als Auftraggeber des Baus die Kaiser Valentinian III. (425 – 455) oder dessen Nachfolger Maiorianus (457 – 461) in Frage. Unterstützt wird diese Annahme durch kürzliche Münzfunde in der Fundamentgrube, die einen Baubeginn in den frühen sechziger Jahren des 5. Jahrhunderts nahelegen.

Rom: Säulenvorhalle der Santo Stefano Rotondo

Säulenvorhalle der Santo Stefano Rotondo


Dass der von 440 bis 461 amtierende Papst Leo I. als Ideengeber und unermüdlicher Förderer hinter dem Projekt stand, gilt als sicher. Und er war es wohl auch, der vorschlug, die Kirche dem Stephanus zu widmen, einem Diakon der Jerusalemer Urgemeinde, von dem als erstem bekannt wurde, dass er wegen seiner Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft um Jesus Christus getötet wurde. Als „Protomärtyrer“ ging er in die frühchristliche Geschichtsschreibung ein.

Die ungewöhnliche Gestalt von Santo Stefano Rotondo als Rundbau mit Umgang findet seine Vorbilder in den Rundkirchen des Heiligen Landes und hier besonders in der Jerusalemer Grabeskirche, die an der Stelle errichtet wurde, wo nach der christlichen Überlieferung Jesus Christus gekreuzigt und begraben wurde.

Rom: Die Rotunde. Deutlich zu erkennen sind die im 12. Jahrhundert zugemauerten Fenster

Die Rotunde
Deutlich zu erkennen sind die im 12. Jahrhundert zugemauerten Fenster

Die Kirche entstand auf dem Gelände einer Kaserne, in der eine Spezialeinheit des römischen Heeres, die Peregrini, stationiert waren. Für die unter Soldaten seinerzeit weit verbreitete Verehrung des Sonnengottes Mithras war ein Kultraum, ein Mithräum, errichtet worden, dessen heute unter der Kirche liegende Mauerreste auf Wunsch besichtigt werden können.

Außergewöhnlich an der Anlage der Stefano-Kirche ist, dass der fünfschiffige Aufbau (hohes Mittelschiff, je zwei niedrigere Seitenschiffe) einer großen christlichen Basilika auf einen Rundbau übertragen wurde, indem um einen zentralen Raum zwei konzentrische Ringe, besser: Umgänge, gelegt wurden. Der monumentale Bau kam so auf einen Durchmesser von 65,80 m. Und da wir gerade bei Zahlen sind: Der Zentralraum, also das Herz der Kirche, weist einen Durchmesser von 22,30 m auf und ist fast gleich hoch. 22 ionische Granitsäulen umstehen ihn, auf denen ein Architrav (Querbalken) lagert, der einen von ursprünglich 22 Fenstern durchbrochenen Tambour (Mauerzylinder) trägt. Eine gewaltige Lichtfülle muss in den Raum geflutet sein und selbst nach der im 15. Jahrh. vorgenommenen Vermauerung von nicht weniger als 14 Fenstern präsentiert sich die Mittelrotunde noch immer hell und durchscheinend. Über dem Tambour entfaltet sich die Dachkonstruktion mit offenen Balkenlagen. Den zentralen Rundraum umkreist der 9,40 m breite innere Umgang. Rundbogenarkaden trennten ihn vom äußeren Ring. Dessen 36 von Säulen getragenen Arkaden wurden während der Restaurierungen im 12. Jahrhundert zugemauert, die heutige Außenmauer entstand und mit ihr verschwand der äußere Umgang. Damals wurde auch der Portikus (Säulenvorhalle) aus römisch-antiken Säulen dem Bau hinzugefügt. Noch einmal zurück zum inneren Umgang. Er öffnete sich auf vier Kreuzarme (Kapellen) im äußeren Umgang. So bildeten sich die Kreuzarme als griechisches Kreuz (mit vier gleich langen Kreuzarmen) innerhalb der kreisrunden Kirche ab. Allein der nordöstliche Kreuzarm ist noch heute erhalten. Er beherbergt die Kapelle der heiligen Märtyrer Primus und Felicianus. Ihre Reliquien wurden im 7. Jahrhundert aus der Katakombe di Sant`Alessandro an der Via Nomentana in die Kirche überführt.

Vielfarbige Marmorplatten schmückten ursprünglich den Tambour und die Wände in den Kreuzarmen. Auch die Fußböden waren mit Marmorplatten ausgelegt. Im Zentralraum, in dem der Altar stand, waren es weiße Marmorplatten und weiße Marmorbänder säumten die bunten Marmorbodenquadrate des inneren Umgangs. Die einstige Marmorpracht wurde in dem einzigen noch vorhandenen Kreuzarm von der italienischen Denkmalbehörde wieder hergestellt. Für die dekorative Ausstattung der Kirche wurde allein der Architrav, der Querbalken auf den 22 ionischen Granitsäulen, neu gefertigt. Die Blöcke entstammen den berühmten weißen Marmorbrüchen auf der Insel Prokonnesos (türk. Marmara Adası) im Marmara-Meer. Alle anderen Säulen, Platten und Kapitelle konnten Magazinen entnommen werden.

Rom: Santo Stefano Rotondo

Einen ziemlichen Schrecken jagen einem die in höchst realistischer Manier gemalten Fresken ein, die sich die ganze Wand entlangziehen. In allen blutrünstigen Einzelheiten wurden seinerzeit im späten 16. Jahrhundert auf dem Höhepunkt der Gegenreformation die Qualen abgebildet, auf die sich zukünftige Missionare einzustellen hätten – ein schriller Propagandacoup der Jesuiten, die u. a. den Maler Nicolò Pomarancio für die Darstellung der Schauerstücke gewinnen konnten. Für den Franzosen Stendhal waren die 31 Szenen des Fresken-Zyklus` zu grauenerregend, um sie auch nur zu beschreiben, wie er 1826 in „Promenades dans Rome“ festhielt. Und Charles Dickens schrieb in seinen „Pictures from Italy“ 1846: Santo Stefano Rotondo, ein dumpfes, modriges Gewölbe einer alten Kirche an der Peripherie Roms wird sich durch die abscheulichen Gemälde, die seine Wände bedecken, für immer in meiner Seele festkrallen. Diese Bilder zeigen das Martyrium von Heiligen und frühen Christen. Ein solches Panorama des Schreckens und Gemetzels kann sich kein Mensch im Traum vorstellen und wenn er ein ganzes Schwein roh zu Abend äße.

Rom: Santo Stefano Rotondo

Zur Kirche Santo Stefano gehört seit 1552 ein Priesterseminar, das von Ignatius von Loyola, dem Gründer und Gestalter des Jesuiten-Ordens, ins Leben gerufen wurde. Das geschah zu einer Zeit, als die römische Kirche zum Gegenschlag gegen die sich immer weiter ausbreitende Reformation ausholte. Romtreue Priester galt es heranzubilden und ganz allgemein die theologische Ausbildung zu verbessern, um „furchtlose Kämpfer für den Glauben aus den von der Reformation gefährdeten Regionen des Reiches“ zu gewinnen. 1579 bezogen ungarische Priesterstudenten das angrenzende Kloster und vereinigten sich schon im Jahr darauf aus finanziellen Gründen mit dem deutschen Priesterkollegium zum Pontificio Collegio Germanico ed Ungarico. Das vereinigte Collegium wurde Eigentümer der Kirche Santo Stefano Rotondo. Es sieht heute seine Aufgabe als kirchliche Ausbildungs- und Begegnungsstätte von Theologiestudenten und Priestern aus den Ländern des westlichen und östlichen Mitteleuropa.

Santo Stefano Rotondo ist seit 1133 Titelkirche eines Kardinalpriesters. Kardinälen wird nach kirchlichem Brauch eine römische Kirche als sog. Titelkirche zugewiesen, um ihre Verbundenheit und enge Zusammenarbeit mit dem Papst bei der Leitung der römisch-katholischen Kirche zu bekunden. Seit 1985 ist die Santo Stefano Titelkirche des früheren Erzbischofs von München und Freising, Friedrich Kardinal Wetter. Einer seiner Vorgänger war der ungarische Kardinal József Mindszenty. Rainer Maria Kardinal Woelkis Titelkirche ist San Giovanni Maria Vianney in der Via Lentini und die Titelkirche von Reinhard Kardinal Marx, San Corbiniano, liegt im Stadtteil Ostia, wo der Tiber ins Thyrrenische Meer mündet.

Via di Santo Stefano Rotondo 7





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