Reiseführer Rom

Ostia Antica

Es sind drei dicht benachbarte Orte, die den Namen Ostia tragen. Da ist das Städtchen Ostia Antica mit seinem mächtigen Kastell, einem Paradebeispiel für die Militärarchitektur der Renaissance. Errichtet wurde der Wehrbau 1483-1486 von Kardinal Giuliano della Rovere. In seiner späteren Funktion als Papst Julius II. rief er 1506 die Schweizer Garde ins Leben, die bis auf den heutigen Tag als päpstliche Leibgarde dient und noch im gleichen Jahr legte er den Grundstein für den Neubau des Petersdoms. In Sichtweite der Kastellmauern erstreckt sich weitläufig und beschattet von eleganten Schirmpinien das Ausgrabungsgelände der antiken Hafenstadt gleichen Namens – unser Ziel. Roms „Badewanne“ - der Lido di Ostia - liegt rund vier Kilometer westlich an der Küste des Thyrrenischen Meeres.

Ostia Antica

Weit entfernt von der Metropole – gut 25 km – sind die drei Orte doch Stadtteile Roms. Sie gehören zum „Municipio Roma X“, dem 10. Stadtteil der italienischen Hauptstadt. Man kann sie bequem erreichen mit der Lido-Bahn, die von der Station Porta San Paolo gegenüber der Pyramide und dem Gelände des Cimitero Acattolico startet. Bis zu acht Züge sind stündlich unterwegs. Siebenter Halt ist Ostia Antica. Nach fünf weiteren Haltepunkten ist die Endstation „Cristoforo Colombo“ am Lido erreicht. Man fährt etwa eine halbe Stunde von der Porta San Paolo bis zum Ausgrabungsgelände und wird nach Verlassen des Bahnhofs gut zum Ziel geleitet. Nach Passieren des modernen Eingangs quert man die bescheidenen Überreste des antiken Stadttors, das heute Porta Romana genannt wird. In den Glanzzeiten der Stadt glich es einem prachtvollen Triumphbogen, der die aus Rom kommenden Reisenden zum Decumanus Maximus führte. Diese Hauptverkehrsader Ostias zeigt noch in unseren Tagen ihr originales Straßenpflaster aus Basaltlavablöcken. Dem Besucher öffnet sich eine weitläufige Ruinenlandschaft, ein illustrer Ort der römischen Welt, dessen Ausdehnung und historische Bedeutung dem Vergleich mit Pompeji und Herculaneum mühelos standhält.

Ostia Antica

Decumanus Maximus


Vom Militärlager zur blühenden Hafenstadt

Zu Beginn des vierten vorchristlichen Jahrhunderts entstand hier eine Siedlung, die später zu einem Castrum, einem militärischen Vorposten, ausgebaut wurde. Seine Aufgabe war, den Unterlauf und die Mündung des Tiber in das Thyrrenische Meer zu kontrollieren. Der Ort nannte sich Ostia nach dem lateinischen Ostium für Flussmündung. Die Neugründung war neben ihrer Funktion als wehrhafter Stützpunkt zugleich auch ein Flusshafen, der zunehmend an Bedeutung für die Versorgung Roms mit Getreideimporten gewann. Dieser langsame Wandel von einer Militäranlage zu einem Umschlagplatz für Waren verlieh dem Ort mehr und mehr urbane Züge. Die Stadt erhielt einen Befestigungsgürtel und prosperierte besonders nachdem Augustus (63 v. Chr. bis 14 n. Chr.) die Macht im Römischen Reich übernommen hatte. Er verlegte die Kriegsflotte von Ostia nach Misenum am Golf von Neapel und forcierte den Ausbau der Stadt: neue Getreidespeicher und Lagerhäuser wurden errichtet, ein Theater und das Kapitol nahmen Gestalt an. Ostias stetig wachsende Einwohnerzahl verlangte nach neuem Wohnraum – so entstanden für Reiche und den wohlhabenden Mittelstand Quartiere eines neuen Wohntyps, sog. Medianum-Apartments mit Wohnflächen von etwa 120 bis 370 m², während die weniger gut betuchten Arbeiter und Handwerker mehrgeschossige, enge Mietshäuser, sog. Insulae, bewohnten.

Ostia Antica

Apartment-Häuser


Unter den Kaisern Claudius, Trajan und Hadrian brach gegen Ende des 1. und im 2. Jahrhundert u. Z. ein regelrechter Bauboom aus, ausgelöst durch den Bau eines neuen Hafens, der den zunehmend versandenden Ostia-Hafen ergänzen sollte. Portus Romae, so sein Name, war durch einen Kanal mit dem Tiber verbunden, auf dem die gelöschten Schiffsladungen nach Rom verfrachtet werden konnten. Ein weiteres Hafenbecken entstand nach 103 auf Anordnung Kaiser Trajans. Auch dieser Hafen besaß eine schiffbare Verbindung zum Tiber. Heute liegt das Becken als Folge der ständig zunehmenden Verlandung rund 3 km von der Küste entfernt. Das enge Zusammenspiel von Ostia und Portus Romae beförderte den Aufstieg der Doppelstadt zum bedeutendsten Warenumschlagplatz im Mittelmeerraum im 2. Jahrhundert. In jener Zeit erreichte die Stadt Ostia ihre größte Ausdehnung und beherbergte schätzungsweise 50.000 Menschen.

Ostia Antica

Niedergang

Im dritten Jahrhundert geriet das Römische Reich in eine existentielle Krise. Die Wirtschaft lag am Boden, die Bevölkerung verarmte, Germanenstämme bedrohten die Sicherheit des Reiches. Als Kaiser Konstantin (306-337) die Hauptstadt nach Byzanz, nunmehr Konstantinopolis, verlegte, Rom sich also nicht mehr als Nabel der Welt präsentierte und überdies Westgoten und Vandalen über die Stadt herfielen, hatte das auch für Ostia nachhaltige Folgen, zumal auch noch der Status von Portus Romae zum Nachteil Ostias aufgewertet wurde. Ostias Ressourcen waren nicht mehr so gefragt wie früher, seine Bedeutung sank. Wie weit das See- und Erdbeben von 443 zum Niedergang beitrug, ist nicht abschließend geklärt, aber Vieles deute darauf hin, so heißt es, „dass Ostias Marmorpracht und ein Großteil seiner Bevölkerung … untergingen“. Nicht aufzuhalten war die fortschreitende Verlandung der Gegend. Es bildeten sich Sümpfe, die Malariaepidemien hervorriefen und im frühen 9. Jahrhundert zur Aufgabe der Stadt führten. Der Tiber hatte noch eine Überraschung parat, als er am 15. September 1557 seinen Hochwasserfluten eine neue Richtung gab, die vertraute Schleife in Höhe von Ostia verließ und sich in ein neues, geradliniges Flussbett zum Meer ergoss.

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Was danach geschah

Das verlassene Ostia war dem gleichen Schicksal ausgeliefert wie unzählige andere antike Orte. Es verkam zum bequemen Steinbruch. Seine sorgfältig bearbeiteten Steinquader und kostbaren Marmordekorationen wurden entführt und woanders wieder verbaut – bis nach Amalfi und Pisa lassen sich die Spuren der Plünderer verfolgen. Später, seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert, ging man gezielter vor und suchte nach Kunstwerken, die man zu Geld machen konnte. Es wurde gegraben ohne Rücksicht auf Schichten und weniger attraktive Fundobjekte und natürlich ohne jegliche Dokumentation. Aber auch die Archäologen, die seit dem 19. Jahrhundert tätig wurden, gingen keinesfalls immer bei ihren Ausgrabungen streng systematisch vor. Unter Papst Pius VII., Ostia gehörte damals zum Territorium des Kirchenstaats, wurde gegraben und besonders aufwändig inszenierte Papst Pius IX. die Grabungsarbeiten. Allein 200 Häftlinge mussten von Dezember bis Juni Fundamente freilegen. In den Monaten Juli bis November wurden sie andernorts eingesetzt, da in dieser Jahreszeit Ostia malariaverseucht war. 1884 begannen 100 zugereiste Arbeit suchende junge Männer und Frauen aus Ravenna mit der Drainage des Geländes. Viele von ihnen erkrankten an Malaria, doch mit ihrer Arbeit verbesserte sich zusehends die Situation vor Ort. Ab 1912 verkehrte ein Bus zwischen Rom und dem neugegründeten Lido di Ostia und ein paar Jahre später begannen österreichische Kriegsgefangene mit dem Bau der Lido-Bahn, die 1924 von Mussolini mit viel Pomp eröffnet wurde. Bis 1938 war etwa ein Drittel der Stadt ausgegraben (heute sind es zwei Drittel). Dann begann ein Wettlauf mit der Zeit, stand doch 1942 die Weltausstellung EUR (Esposizione Universale di Roma) bevor – ein Lieblingsprojekt Mussolinis, der sich in der Rolle eines zweiten Augustus wähnte. Der staunenden Welt sollten die Fortschritte des Landes unter seiner Führung präsentiert werden und das wieder erstandene Ostia die Verbindung der faschistischen Epoche zur klassischen Antike Roms belegen.
Nach dem Krieg ging es ruhig zu: man konzentrierte sich auf die Erforschung und Instandhaltung der freigelegten Bauten und legte umfangreiche Dokumentationen an. Erst relativ spät traten ausländische Institute auf den Plan, darunter auch das Deutsche Archäologische Institut und mit ihm einige weitere deutsche Forschungseinrichtungen, dazu eine große Zahl internationaler und einheimischer Institute. Um die Vielfalt an Forschungen überschaubar zu machen und eine umfassende Information und Diskussion zu ermöglichen, wurden zweijährlich stattfindende Ostia-Kolloquien eingeführt.

Ostia Antica

Höhepunkte

Man ist auf einem weitläufigen Gelände unterwegs. Eine gute Kondition wäre ein nützlicher Begleiter. Auf jeden Fall sollten Besucher ausreichend Getränke und eine Kopfbedeckung bei sich haben und ein kleiner Snack könnte erlahmende Kräfte wieder mobilisieren. Es bieten sich fachkundig geleitete Besichtigungen an, aber ein handlicher, detailreich geschriebener Reiseführer ist eine gute Alternative.
Am schon erwähnten Decumanus Maximus, der Ost-West-Achse, die nach rund 600 m von der Nord-Süd-Achse, dem Cardo Maximus, gekreuzt wird, liegt links ein kleiner Platz. Er heißt Piazzale della Vittoria und ist der Standort der geflügelten Minerva, die vermutlich in antiker Zeit das Stadttor schmückte. Minerva war eine der Stadtgöttinnen Roms und besaß darüber hinaus einen enormen Wirkungskreis, denn sie war nicht nur Beschützerin der Handwerker, Lehrer, Künstler und anderer Berufszweige, sondern auch Schutzgottheit der Ärzte.

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Etwa 200 m weiter, auf der rechten Seite, erwartet Besucher mit den Thermen des Neptun ein Highlight. Sie entstanden in der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts unter den Kaisern Hadrian und Antoninus Pius. Berühmt ist diese antike Badeanstalt wegen ihrer großartigen Schwarz-Weiß-Mosaike, die man von einer Terrasse aus betrachten kann. Ein Mosaik stellt Neptun in einem Streitwagen dar, gezogen von sagenhaften fischschwänzigen Seepferden (Hippokampi) und umringt von Meereswesen. Das andere Mosaik zeigt Neptuns Frau Amphitrite auf einem Hippokamp, begleitet von Hymenaeus, dem Gott der Hochzeit, und Tritonen (Meeresgöttern). Nordwestlich liegen die Ruinen der den Thermen angegliederten großen Palaestra, einer offenen Sportanlage.
Ein paar Schritte weiter, in der Via della Fontana, liegt ein Kuriosum, vermutlich eine antike Bar, worauf eine erhaltene Inschrift hinweist: FORTUNATUS (vinum e cr)ATERA QVOD SITIS BIBE, was man so übersetzen kann: „Fortunatus sagt, trinke Wein aus dem Becher, solange Du Durst hast“.


Ostia Antica

Während sich auf der linken Seite des Decumanus die Überreste der Horrea (Speicher) des Hortensius aufreihen, folgt rechts das Halbrund des Theaters. Es entstand während der unumschränkten Herrschaft des Augustus im ersten Jahrhundert. Erweiterungen, die das Fassungsvermögen auf 4.000 Besucher steigerten, nahmen im zweiten Jahrh. Kaiser Septimius Severus und sein Sohn Caracalla vor. Wie die große Mehrheit der Bauten in Ostia ist auch das Theater aus Ziegelmauerwerk errichtet, einer von den Römern perfektionierten Technik. Die unteren zwei Stufen der Cavea (der Zuschauerränge) waren für Ehrensitze reserviert. An die ursprüngliche Bühnenwand schließt sich der heute so genannte Piazzale delle Corporazioni an, unter dessen ausladenden Schirmpinien die spärlichen Überreste des Ceres-Tempels liegen. Der ausgedehnte Platz der Handelskorporationen wurde an drei Seiten gesäumt von Kolonnaden mit daran anschließenden kleinen Räumlichkeiten, wo sich Händler, Reisende und Schiffseigner zu Geschäften trafen. Sehenswert sind die zahllosen Mosaiken, die Rückschlüsse auf die hier vertretenen Geschäftszweige zulassen.


Ostia Antica

Folgt man nun dem Decumanus weiter, gerät das Forum in Sicht, wo sich Decumanus und Cardo kreuzen. In Richtung Tiber liegt das Museum von Ostia Antica, das vorrangig Marmorskulpturen, Grabskulpturen, Sarkophage und römische Porträts präsentiert – Fundobjekte aus dem umgebenden Gelände.
Das Forum, einst der bedeutendste Platz von Ostia, wird überragt vom riesigen Capitolium. In diesem Tempel verehrten die Ostienser die kapitolinische Trias, das göttliche Dreigespann aus Jupiter (Roms Staatsgott), Juno, die den Frauen Beistand bei der Geburt gewährte und die Ehe schützte sowie der schon erwähnten Minerva. Südöstlich des Forums breiten sich die Terme del Foro aus, eine der größten Badeanlagen Ostias mit seiner berühmten öffentlichen Latrine, die zwanzig Benutzern auf Marmorsitzen Platz bot und die traditionellen Einrichtungen eines Stadtbades der gehobenen Klasse aufwies, wie Kalt-, Warm- und Dampfschwitzbad, Ruhe- und Umkleideräume und eine angeschlossene Palaestra.


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Tempel auf dem Kapitol


Südlich, nahe der Porta Laurentina, liegen die Trümmer des Tempels der Magna Mater, d. i. Kybele, die kleinasiatische Fruchtbarkeitsgöttin – ein Hinweis darauf, dass in Ostia viele Kulturen vertreten waren. In diesem Zusammenhang muss auch die 1961 entdeckte Synagoge aus dem 1. Jahrh. erwähnt werden. Ihre Überreste sind weit draußen außerhalb der Umfriedung nahe der Porta Marina zu entdecken oder das Serapeum, Verehrungsort des ägyptischen Gottes Serapis und das Mithraeum und die Thermen des Mithras, die auf iranische Ursprünge zurückgehen.
Und zum Schluss noch einige Örtlichkeiten aus einer Vielzahl von lohnenden Zielen, deren Besichtigung man nicht versäumen sollte: Die Fullonica, eine Anlage von flachen Becken, in denen Kleidungsstücke gereinigt wurden, nicht weit vom nördlichen Zweig des Cardo die Horrea (Lagerhäuser) Epagathiana, die zwei ehemaligen Sklaven und nunmehr Freigelassenen orientalischer Herkunft gehörten und wegen ihrer Zweckmäßigkeit bekannt waren, die Ruinen des Tempio dei Mensores, wo das importierte Getreide kontrolliert und abgewogen wurde, zunächst, wenn es im Hafen angelandet wurde, danach ein weiteres Mal, wenn es eingelagert und ein drittes Mal, wenn es nach Rom transportiert wurde. Es sind interessante Mosaiken zu bestaunen, die die Arbeit der Kontrolleure darstellen, die Case a Giardino, Gartenhäuser, vornehme und geräumige Apartmenthäuser mit einem Garten und Wasserbecken darin und zum Schluss noch das Bad der sieben Weisen, Terme dei sette Sapienti mit einem Schwarz-Weiß-Mosaik von 12 m Durchmesser und Fresken der sieben griechischen Weisen von Thales von Milet bis Solon.





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